»Teilweise müssen wir den Druck-Button deaktivieren«

Im Interview mit ECMguide.de berichtet Thomas Kleiner, CEO von iXenso, aus eigener Praxis als Lösungsintegrator, worauf es bei der Realisierung von digitalen Posteingangslösungen besonders ankommt. Wichtig sind eine sehr gute Digitalisierung und Erkennung am Eingang, ein Umdenken in den Prozessen und natürlich die intensive Vorbereitung und Integration der Anwender – inklusive dem Management. Schließlich haben ausgedruckte Mails und Dokumente keinen Vorbildcharakter.

Wie verbreitet und ausgereift sind digitale Posteingangslösungen in der Praxis?

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Kleiner: Wir stoßen zu unserer Überraschung– auch bei größeren Unternehmen/Institutionen – immer noch auf sehr viel Papier. Die Unternehmen sind bezüglich der rechtlichen Rahmenbindungen, was in Papierform aufgehoben werden muss und was nicht, kaum oder falsch informiert oder wagen sich nicht an diesen Paradigmenwechsel, da dieser das gesamte Unternehmen vor Veränderungen stellt. Mit einem klärenden Gespräch sind diese Hürden dann jedoch schnell genommen. Heutige Systeme sind bereits sehr ausgereift und verbessern sich nicht nur in der Erkennung beziehungsweise Interpretation der Inhalte kontinuierlich, so werden bereits schon die ausgehenden Dokumente via Output-Management gezielt eingebunden und das Ganze unter dem Begriff Customer-Experience-Management zusammengefasst.

Besteht aus Ihrer Sicht Nahholbedarf bei den existierenden Posteingangslösungen?

Kleiner: Verbesserungspotential besteht natürlich immer, aber insbesondere das »Interface« zu uns Menschen stellt einfach das größte Akzeptanzproblem bei diesen Lösungen dar. Wir haben vergeblich Touchscreens flach auf die Tische gelegt und mit digital pens ausgestattet, mit Tablets gearbeitet und mit dem Fraunhofer Institut nach Alternativen gesucht. Die Technik schreitet zwar rasant voran, »wohl« fühlt man sich in der Bearbeitung damit noch nicht wirklich – mehrere Tausend Jahre haben einfach ihre Spuren hinterlassen.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Realisierung eines digitalisierten Posteingangs?

Kleiner: Die Erkennung und Verteilung sicherlich weniger, wobei hier auch noch Herausforderungen existieren, wie ich einen Text nicht nur erkennen, sondern auch fehlerfrei interpretieren kann (Case Management). Eine Herausforderung sehen wir weiterhin noch in der Bearbeitung der Dokumente beim Empfänger/Bearbeiter. Es hat sich zwar hier sehr viel getan (Annotationen, digital pen, Touch-Screen, Fingerpointer etc.), aber mit einem Marker oder Stift lässt sich ein Papierdokument für uns Menschen nach wie vor immer noch angenehmer bearbeiten, Notizen oder auch PostIt’s aufbringen. Teilweise müssen wir den Druck-Button aus diesen Gründen deaktivieren, da ansonsten das Dokument ausgedruckt, bearbeitet und dann wieder eingescannt wird. Und mal ehrlich, wer hat dies selbst noch nicht getan?

Worauf kommt es beim Aufbau einer digitalen Posteingangslösung hinsichtlich der technischen Komponenten besonders an?

Kleiner: Definitiv auf eine sehr gute Digitalisierung und Erkennung am Eingang, denn dort entscheidet sich Erfolg oder Misserfolg des Projektes. Irrläufer und schlecht lesbare oder falsch interpretierte Dokumente sorgen nicht nur für Frust beim Empfänger, sondern verschlechtern auch die Qualität der Prozesse. Im schlimmsten Fall werden Prozesse durch fehlerhafte Daten »dunkel« falsch verarbeitet.

Was spielt abgesehen von den technischen Komponenten eine Rolle?

Kleiner: Ein Umdenken in den Prozessen und natürlich die intensive Vorbereitung und Integration der Anwender, welche die Dokumente zukünftig digital bearbeiten müssen. Zwei großformatige Bildschirme, welche drehbar sein sollten, sind für ein produktives Arbeiten unverzichtbar. Und auch das Management muss sensibilisiert werden, da sich die Produktivität in der Eingewöhnungsphase durchaus erst einmal verschlechtern kann. Zudem sollte das Management als Vorbild agieren, ausgedruckte Mails oder Dokumente zur Bearbeitung sind natürlich wenig hilfreich.

Richtig lohnend ist ein digitalisierter Posteingang erst, wenn sich Unternehmensprozesse automatisiert anschließen. Inwieweit ist dies in der Praxis schon Realität?

Kleiner: In diesem Zusammenhang erhalten wir bereits vermehrt Anfragen zu Case-Management-Lösungen. Bei unseren Kunden ist dies teilweise bereits Realität, empfehlenswert jedoch erst nach einer gewissen Erfahrung mit der digitalen Posteingangslösung. Im Schnitt beginnen wir mit nachgelagerten Prozessen nach ca. sechs Monaten und dann abteilungsbezogen. Typisch ist der Start in der Finanzabteilung oder im Vertrieb (Klärungsprozesse in der Angebotsphase etc.). Interessant ist hierbei das unglaubliche Potential in der Optimierung der Prozesse.

Inwieweit setzt sich der ZUGFeRD-Standard inzwischen in der Praxis durch und welche Auswirkungen hat dies?

Kleiner: Offen gestanden sind wir bisher nur einmal auf diesen Standard getroffen bzw. wurden hierauf angesprochen. Ein Grund ist sicherlich der Aufwand zur Änderung der Ausgangsbelege, schließlich zieht ja erst einmal »nur der Empfänger« einen Nutzen daraus. EDI wird auch immer einfacher, wobei der Implementierungsaufwand natürlich immer noch höher ist. ZUGFeRD basiert auf der internationalen Standard Core Component Specification, darauf aufbauend kommt die UNECE Core Component Library für das ZUGFeRD-Datenmodell zum Tragen, mit den Regeln des Datenmodells der UN/CEFACT Cross Industry Invoice, was die Struktur aus unserer Sicht recht unübersichtlich und komplex werden lässt. Aus diesem Grund wurden sicherlich auch die drei Ausprägungen »Basic«, »Comfort« und »Extended« definiert, damit sich die Unternehmen langsam herantasten können. Die EU wird einen EU-weiten Standard für elektronische Rechnungen einführen, es macht also durchaus Sinn sich damit frühzeitig auseinanderzusetzen.

Welche Rolle spielen E-Postbrief und De-Mail aus Ihrer Sicht als Dienstleister heute in der Unternehmenspraxis?

Kleiner: Leider eine absolut untergeordnete Rolle. Es ist wirklich erschreckend, wie fahrlässig Unternehmen immer noch vertrauliche Informationen einfach per Mail einmal um die Welt senden und damit für Jeden zugänglich machen. Da werden Produktionszeichnungen, finanzielle Kalkulationen oder Auswertungen ungeschützt versendet in der Annahme, dass es sich um eine 1:1-Verbindung mit dem Gegenüber handelt.

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.