München prüfte digitale Erfassung von Stimmzetteln
Nach Wahlen Stimmen auszuzählen, ist eine wichtige aber mühsame Aufgabe. Daher muss sie mit hoher Präzision und mehrfachen Gegenproben durchgeführt werden. Denn die Fehlertoleranz ist gering. Dabei müssen die im Wahlrecht zugesicherten und vorgeschriebenen Grundsätze allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim eingehalten werden. Außerdem gilt es, durch überprüfbare und transparente Verfahren das Vertrauen der Bevölkerung in eine korrekte und zuverlässige Auswertung der abgegebenen Stimmen zu erhalten. Deshalb hat zum Beispiel während der Auszählung jedermann freien Zutritt zu den Wahllokalen, um sich persönlich davon überzeugen zu können, dass alles mit rechten Dingen zugeht.
Vor diesem Hintergrund ist die Digitalisierung selbst einzelner Arbeitsschritte keine leichte Aufgabe. Dennoch erscheint sie zur Reduzierung des Aufwands sinnvoll. Denn der Aufwand nimmt zu. Gründe dafür sind unter anderem die steigende Popularität der Briefwahl und das besonders in Kommunalwahlen immer öfter mögliche Kumulieren und Panaschieren von Stimmen – also die Möglichkeit, einzelnen Kandidaten mehrere Stimmen zu geben oder die Aufteilung ihrer Stimmen auf mehrere Kandidaten aus unterschiedlichen Listen.
Simulation zwei Tage nach der Bundestagswahl
Inhalt dieses Artikels
Der Frage, wie gut bereits verfügbare Lösungen diese Aufgaben in der Praxis bewältigen, hat das Kreisverwaltungsreferat der Landeshauptstadt München zwei Tage nach der Bundestagswahl 2021 im Rahmen einer simulierten Auszählung in einem Praxistest untersucht. Neben der Einhaltung der sich aus dem Wahlrecht ergebenden Anforderungen an die Erfassung der Stimmzettel gab es dabei auch einige technische Hürden zu bewältigen.
Besonderheiten bei der Erfassung von Stimmzetteln
Eine Schwierigkeit ist das ungewöhnliche und tendenziell zunehmende Format der Stimmzettel. Der Stimmzettel zur Bundestagswahl war 2021 etwas größer als zwei nebeneinandergelegte DIN-A4-Seiten. Außerdem ist bei der Auszählung auf korrekte Wertung von Erst- und Zweitstimme zu achten.
Bei Kommunalwahlen ist die Situation noch deutlich komplexer. Es müssen nicht nur mehrere Stimmzettel ausgezählt werden, sondern aufgrund zunehmender Parteienvielfalt auch immer größere. Der Stimmzettel für die Kommunalwahl 2020 in München etwa maß 60 mal 170 Zentimeter. In Frankfurt am Main war er 2016 bei der Kommunalwahl 60 mal 150 Zentimeter groß. Oft fällt es den Kommunen zudem schwer, die erforderliche Anzahl an freiwilligen Wahlhelfern zu rekrutieren.
Wahlkoffer als Ausgangsbasis
Mit dem Test in München sollte geprüft werde, ob sich auf digitalen Wege die fehlerfreie Interpretation und Erfassung der Wählerstimmen erreichen lässt. Er ist Teil einer umfangreicheren Prüfung der Verwendbarkeit von IT bei der Durchführung von Wahlen in München. Für den Proof of Concept (PoC) arbeiteten der IT-Dienstleister IS4IT aus Oberhaching sowie die Hersteller ABBYY und Canon zusammen. Außerdem war der auf digitale Wahlen spezialisierte US-Anbieter Smartmatic beteiligt.
IS4IT hatte sich bereits zuvor bei der Entwicklung eines Systems zur Unterstützung der Wahlvorstände bei ihrer Arbeit bewährt. Dazu adaptierte der Dienstleister seine für anderen Zwecke, wie Sachverständige, Finanzberater, Polizei, Blutspendedienste und andere Szenarien entwickelten Kofferlösungen entsprechend der Anforderungen an den Einsatz bei Wahlen.
Der so entstandene »Münchner Wahlkoffer« kam bereits bei sechs Wahlen zum Einsatz, erstmals bei der Bundestagswahl 2017, seitdem auch bei einem Bürgerentscheid, einer Landtags- und einer Kommunalwahl sowie bei der Europawahl 2019 und zuletzt der Bundestagswahl 2021. Für den PoC wurde er mit einem Canon-Scanner und der Abbyy-Software kombiniert.
Positives Fazit der Verantwortlichen
Damit ließen sich sowohl der Scanprozess der großformatigen Stimmzettel bewältigen als auch die Anforderungen an die Interpretation der Stimmzettel erfüllen. In der Simulation wurden die Stimmzettel eingelesen, vom System erfasst, analysiert, interpretiert und im Fall der Gültigkeit verifiziert. Bei nicht eindeutig ausgefüllten Stimmzetteln wurden diese gemeldet und für eine weitere manuelle Überprüfung aussortiert.
»Mit der Digitalisierung der Erstellung der Wahlniederschrift ist die Landeshauptstadt München vor vier Jahren einen großen Schritt in Richtung Zukunft gegangen«, sagt Kreisverwaltungsreferent Dr. Thomas Böhle, Kreiswahlleiter in München. Mit dem aktuellen Proof of Concept habe man diesen Weg weiter beschritten. »Es zeigt sich, dass die Digitalisierung hier bereits zuverlässige Lösungen ermöglicht. Nun ist aus unserer Sicht der Gesetzgeber gefragt, um die Rechtsgrundlagen zur Nutzung dieser technischen Möglichkeiten zu schaffen.«
»Wir haben aus technischer Sicht neben der zuverlässigen Erfassung gültiger Stimmzettel insbesondere auf die einfache Inbetriebnahme des Equipments, die Usability während des Scanvorgangs und auf die Möglichkeit der Integration in die bestehende Systemlandschaft geachtet«, berichtet Marc Jozwiak, Wahlkoordinator bei it@M, dem IT-Service-Betrieb innerhalb des IT-Referats der Stadt München.
Aktuell werden die Eindrücke und Erkenntnisse des PoC noch evaluiert, wie das IT-Referat der Landeshauptstadt München ECMguide.de auf Anfrage mitteilte. Anschließend werden it@M und das Kreisverwaltungsreferat das weitere Vorgehen abstimmen.