Published On: 8. Oktober 2025Von

Wie digitale Archive zum Datenschatz werden

Lange haben klassische Dokumentenmanagement­Systeme (DMS) vornehmlich als digitale Aktenschränke gedient. Doch wie auch ein Praxisfall zeigt, verleihen KI-Technologien längst vergessenen Dokumenten einen neuen Wert fürs Unternehmen.

von Christoph Tylla, Partner der Pentadoc AG und Geschäftsführer der 5Plus GmbH

Grobdarstellung der Systemarchitektur

09-30-25-pentadoc-1

High-Level Architekturübersicht (Bild: Pentadoc)

Häufige Praxis: Überblick über Dokumente fehlt

Viele Unternehmen verfügen heute über Massen an unstrukturierten beziehungsweise nur rudimentär strukturierten Dokumenten: Verträge, E-Mails, Berichte und Formulare, häufig ist Unternehmen selbst nicht mehr vollständig transparent, welche Dokumente über viele Jahr ins Archiv gelangt sind und heute nur noch Speicherplatz belegen, ohne im Tagesgeschäft einen wirklichen Mehrwert zu liefern.

Im folgenden Beitrag will ich Ihnen meine Einschätzung näherbringen und nehme Sie mit in ein aktuelles Projektvorhaben.

Mehrwerte liegen in der Semantik

Klassische Dokumentenmanagementsysteme strukturieren die Ablage über einen vordefinierten Aktenplan, in dem Dokumente hierarchisch in Akten und Ordnern abgelegt werden. Beim Import in das Archivsystem werden jedem Dokument Tags oder Metadaten zugeordnet, um die spätere Auffindbarkeit zu ermöglichen. Ergänzend dazu wird jedem Dokument in der Regel ein Volltextindex zugeordnet, wonach die gespeicherten Dateien nach Schlagworten und Textpassagen durchsucht werden können.

Für sehr strukturierte Dokumente (beispielsweise Rechnungen) funktioniert die Kombination aus Aktenplan, Verschlagwortung und Volltextsuche gut. Je unstrukturierter und umfangreicher die Dokumente werden, umso schwieriger wird jedoch eine zutreffende Ablage, die allen inhaltlichen Elementen des Dokuments gerecht wird und folglich einer gezielten Dokumentenrecherche dient. Zwar scheint die Volltextsuche für diesen Fall ein vermeintlich hilfreiches Werkzeug zu sein, doch wenn mittels Suchbegriffen immer noch Treffermengen von mehreren hunderten Dokumenten verbleiben, ist dem Benutzer in der Regel auch nicht geholfen.

Künstliche Intelligenz kommt ins Spiel

Hier rückt nun KI, insbesondere durch die Verwendung von Sprachmodellen, in den Vordergrund, da hierdurch nun technologische Möglichkeiten im Dokumentenmanagement entstehen, die es zuvor schlichtweg nicht gab.

KI-Integration hebt die semantische Ebene im DMS auf ein neues Niveau. Denn die Systeme nutzen im Gegensatz zu oben beschriebenen Verfahren Machine-Learning-Modelle und Natural-Language-Processing, um Inhalte linguistisch zu analysieren, Dokumenttypen automatisch zu klassifizieren und Konzepte, Synonyme oder Zusammenhänge selbstständig zu erkennen. Dadurch ermöglichen sie semantische Suchanfragen, die nicht nur nach Stichworten filtern, sondern auf Bedeutungsebene relevante Dokumente in Beziehung setzen und Kontextinformationen liefern. Selbst handschriftliche, gescannte oder mehrsprachige Inhalte können in der Regel sehr präzise erfasst werden. Systeme können darüber hinaus Wissensgraphen aufbauen, Entitäten (zum Beispiel Personen, Projekte, Fristen) vernetzen und kontextbezogene Vorschläge liefern.

KI macht Zusammenhänge sichtbar

Kombiniert man KI-gestützte Funktionen mit bestehenden Dokumentenmanagement-Anwendungen, wird das passiv verwaltete Archiv zum aktiven Datenschatz: Verborgene Beziehungen und Muster in Dokumentenbeständen werden transparent, relevante Informationen stehen in Echtzeit bereit, manuelle Tätigkeiten reduzieren sich drastisch, Compliance-Risiken sinken, und die gewonnenen Erkenntnisse fördern fundierte Entscheidungen sowie innovative Geschäftsmodelle. So wächst der Wert vieler Archivobjekte über ihre reine Ablagefunktion hinaus – sie werden Teil eines Wissensökosystems, das Effizienz und Qualität maßgeblich steigern kann.

So vielversprechend der Ansatz wirken mag, so überraschend (vergleichsweise) einfach lassen sich derartige Anwendungen auch in die bestehende Infrastruktur integrieren. Doch die Integration muss durchdacht und in der Regel tiefgehend sein, da neben dem reinen Inhaltsfokus natürlich auch Rahmenbedingungen, wie bspw. das bestehende Berechtigungskonzept, Berücksichtigung finden müssen. Am Markt erweitern bereits einige ECM-Hersteller ihre Standard-Lösungen um entsprechende KI-Module. Aber auch die Erweiterung der bestehenden Systemumgebung um eigenständige Dienste kann sinnvoll sein und sollte individuell gemäß der fachlichen und technischen Anforderungen bewertet werden.

Pipeline-Diagramm

10-06-25-KI-Pipeline

Pipeline-Diagramm (Bild: Pentadoc)

Blick in die Praxis

Ich nehme Sie beispielhaft mit zu einem unserer Kunden, einem öffentlichen Auftraggeber, der sich in der Widerspruchsbearbeitung den Wert bereits archivierter Dokumente zunutze machen will und sich eine deutliche Entlastung in der Sachbearbeitung verspricht. Und tatsächlich zeigen sich nach der ersten Prototyp-Phase zur Machbarkeits- und Effizienzwertbestimmung sehr vielversprechende Ergebnisse.

Worum geht es genau?

Sachbearbeiter müssen aktuell in komplexen Widerspruchsverfahren eine Vielzahl an Dokumenten und Informationen prüfen. Dabei spielen neben Dokumenten, die der Widerspruchsführer selbst eingereicht hat sowie häufig vorliegender Rechtsanwaltskorrespondenz auch historische Daten und Dokumente eine Rolle. Denn um die Widerspruchsbearbeitung möglichst konsistent, nachvollziehbar und an etablierten Standards ausrichten, wird in jedem Verfahren geprüft, wie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit entschieden und begründet wurde.

Zu den zu prüfenden Sachverhalten zählen neben reinen Zulässigkeitsmerkmalen unter anderem:

  • Sind im Widerspruch genannte Behauptungen korrekt? [Innerhalb der Akte] Beispiel: »Im letzten Jahr wurde mir von Ihnen mitgeteilt, dass …«
  • Wie wurde in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit entschieden? [Innerhalb des gesamten Archivs] Beispiel: »Wurde die Begründung »xy« zuvor schon mal als zulässig gewertet?«
  • Wie ist die juristische Situation einzuschätzen? [[juris-Datenbank / externe Datenquelle] Beispiel: Bestehen zu Sachverhalt »xy« bereits vergleichbare Gerichtsurteile?

Häufig sammeln sich somit für einen einzelnen Vorgang relevante Dokumente, die in Summe mehr als 100 Seiten umfassen und demzufolge einen sehr hohen zeitlichen Bearbeitungsaufwand  verursachen.

Der Lösungsansatz

Beim Öffnen eines neuen Widerspruchverfahrens wird dem Sachbearbeiter in seiner Kernanwendung (integriertes Funktionselement in der Benutzeroberfläche) eine Zusammenfassung des aktuellen Widerspruchs, insbesondere zu Begründungen und Forderungen als kurzer Fließtext angezeigt. Im Funktionsmenü werden dem Sachbearbeiter vordefinierte Aktionstasten angeboten, beispielsweise »Tabellarische Übersicht der Fristen«, wonach das System innerhalb weniger Sekunden eine Liste aller im Verfahren relevanten Fristen mit Kurzerläuterung darstellt. Zudem kann der Sachbearbeiter über eine Chatleiste eigene Fragestellungen an das System übermitteln, beispielsweise »Zeige mir Widerspruchsbescheide, die zu ähnlichem Sachverhalt erstellt wurden«. Zu derartigen Anfragen werden dem Sachbearbeiter Dokumente inklusive einer Vorschau angezeigt.
Zusammengefasst werden dem Sachbearbeiter relevante Informationen und Dokumente auf Basis des gesamten Archivbestandes und extern angebundener Datenquellen zur Verfügung gestellt.

Die angestrebten Mehrwerte

Durch den Einsatz der integrierten KI-Lösung sollen vor allem eine Entlastung der Sachbearbeitung durch Zeitersparnis sowie eine Qualitätssteigerung der Sachbearbeitung erreicht werden.

Die Anwendung entlastet den Sachbearbeiter von der zeitintensiven Recherche nach und innerhalb von Dokumenten und unterstützt durch eine automatische Zusammenfassung des Sachverhalts. Hierdurch können insbesondere Dokumente und Informationen aus der Vergangenheit schnell ermittelt und hinzugezogen werden.

Eine Qualitätssteigerung soll erreicht werden, in dem einerseits alle relevanten Informationen ermittelt und nicht versehentlich vernachlässigt werden und andererseits auch Orientierung an zurückliegenden und bereits abgeschlossenen Verfahren genutzt werden kann.

Nachdem die Prototyp-Phase erfolgreich abgeschlossen wurde, ist aktuell ein 12-monatiger Pilotbetrieb geplant, in dem ein Teil der Sachbearbeiter die Anwendung im Tagesbetrieb nutzen und weitere Erkenntnisse zu Qualität, Zuverlässigkeit und tatsächlichem Effizienzgewinn sammeln werden.

Kurz zusammengefasst

Digitale Dokumentenarchive werden dank KI-Integration nicht länger zu reinen Archivierungssystemen, sondern zu dynamischen Datenschätzen. Natürlich hängt der tatsächliche Nutzen auch maßgeblich von der inhaltlichen Qualität der im Archiv befindlichen Dokumente ab. Aber Unternehmen, die frühzeitig in semantische Suche, automatische Klassifikation und Wissensgraphen investieren, dürften nicht nur möglichst viel Wert aus den aktuellen Dokumentenarchiven generieren, sondern auch einen Grundstein für eine zukünftig effiziente Daten- und Dokumentenverarbeitung legen. Denn wer seine Dokumentenflut intelligent nutzt, transformiert Daten in wertvolles Kapital.

Weitere Artikel

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.
Nach oben