Interview mit Scanner-Evangelist Michael Bertig

Wie hat die Corona-Pandemie die Nachfrage nach Scannern verändert?

Michael Bertig, Scanner-Evangelist, beobachtet Trend zum verteilten Scannen (Bild: M. Bertig)

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Michael Bertig, Scanner-Evangelist, beobachtet Trend zum verteilten Scannen (Bild: M. Bertig)

Bertig: Aufgrund der Corona-Pandemie zeichnen sich zwei Entwicklungen ab: Geplante Projekte verzögern sich häufig, während Ad-hoc-Lösungen hinzukommen, die aber eher kleinteilig sind. Exemplarisch dafür ist ein Projekt, wo es um etwa 500 Scanner für Niederlassungen und Büromitarbeitende in der Vertriebsorganisation eines Autohändlers geht. Dies kann jetzt nicht vollzogen werden, weil die Mitarbeitenden im Home-Office sind. Nun geht es dort in erster Linie darum, die Server am Laufen zu halten, weswegen das Scanner-Projekt in den Hintergrund rückt. Auch bei einer geplanten Digitalisierung von mehreren Gerichten lief bis Dezember alles planmäßig. Jetzt ist dies aber Corona-bedingt ebenfalls zum Stehen gekommen.

Haben die Corona-Maßnahmen Auswirkungen auf die Durchführungsweise von Projekten?

Bertig: Die organisatorischen Überlegungen gehen eher zum verteilten und dezentralen Scannen, was dazu führt, dass manche Arbeitnehmende Scanner für das Home-Office erhalten. Dabei müssen die Zugangspunkte so abgesichert sein, dass nur für die Organisation notwendige Unterlagen gescannt werden können. Über dezentrales Scannen lässt sich auch vermeiden, dass Mitarbeitende in die Zentrale müssen, um beispielsweise Auftragsscheine oder Nachweise über Servicearbeiten abzugeben, die unter anderem für die Rechnungsstellung benötigt werden.

Inwieweit gibt es noch Fälle, bei denen ganze Papierarchive per Scan digitalisiert werden?

Bertig: Das Digitalisieren von Bestandsakten tritt nur dann auf, wenn mit den Bestandakten noch gearbeitet werden muss. Aber selbst das sieht man momentan kaum. Häufig verwenden Unternehmen und Organisationen in einem solchen Fall Scan-on-Demand-Services, bei denen Akteneinlagerer wie Frankenraster das Papierarchiv übernehmen. Wenn jemand eine konkrete Akte anfordert, scannt der Dienstleister diese und schickt sie zu. Damit sind Unternehmen von Papierverwaltung und Räumlichkeiten entlastet.

Was verändert sich durch die Tatsache, dass Dokumente nicht mehr primär zu Archivierungszwecken, sondern verstärkt zur Digitalisierung von Geschäftsprozessen gescannt werden?

Bertig: Für Unternehmen stellen sich organisatorische Fragen: Scanne ich zentral oder dezentral? An welchen Punkten erscheint Papier, das in den Geschäftsprozess hereingetragen werden muss? Es können, wie schon erwähnt, Servicemitarbeitende, Papier digitalisiert in den Workflow einbringen, der dann von der Auftragsabwicklung freigegeben wird. Je mehr Workflows digitalisiert werden, desto mehr kann Papier an unterschiedlichen Orten zugetragen werden und desto verteilter ist dann die Scan-Landschaft. Vorher drehte sich alles um die Poststelle, wo alles einging und dann zentral weitergeleitet wurde.

Werden durch das geringere Volumen in den Poststellen Produktionsscanner dann nicht mehr so stark benötigt?

Bertig: Momentan ist es umgekehrt. Produktionsscanner werden eingesetzt, um die Prozesse in der Verwaltung und bestimmten Behörden zu beschleunigen. Dass die Poststelle der Bottleneck ist, haben viele aktuell schmerzhaft erfahren, obwohl es theoretisch den meisten Verantwortlichen schon lange klar war. Wenn sich der Postinhalt nicht digitalisieren oder organisatorisch auf einen Dienstleister umleiten lässt, dann läuft einiges nicht. Im Home-Office gibt es keinen Posteingang. Mitarbeitende stundenweise in die Firma zu schicken, um Post und Akten abzuholen, sorgt für Unmut, Ineffizienz und Risiken. Es zeigt sich überdeutlich: Die Poststelle als Papier-Eingangsstelle ist der Anfang der Digitalisierung. Allerdings wird vom Grundsatz her langfristig weniger Papier anfallen und verteilter gearbeitet werden. Dass die Belegerfassung über Smartphones erfolgen kann und seit Anfang 2020 laut GoBD steuerrechtlich zulässig ist, verstärkt diesen Trend. Gleichzeitig bedeutet es den Tod kleiner Scanner.

Weitere Entwicklungen im Scanner-Markt

Gibt es Branchen mit besonders hohem Digitalisierungsbedarf?

Bertig: Es gibt bestimmte Branchen, die noch sehr papierlastig sind. Hierzu zählen Steuerberater, Behörden und das Gesundheitswesen.

Wie sehen Sie langfristig die Marktentwicklung bei Scannern?

Bertig: Gemäß den Zahlen von Infosource haben Scanner zwischen 2016 und 2020 in Deutschland schon 20 Prozent Marktvolumen verloren. Was jetzt Corona-bedingt abläuft, ist das Vorziehen der Digitalisierung in vielen Bereichen, wofür Scanner benötigt werden – also eine Art Sonderkonjunktur. Ein Ziel der Digitalisierung ist jedoch die Papiervermeidung, weshalb Papier weniger wird. Daher rechne ich ab 2022 mit stärkeren Einbrüchen im Scanner-Sektor – zumindest in Deutschland. Es gibt Länder mit anderen Marktvoraussetzungen wie den USA, wo 30 Milliarden Schecks pro Jahr anfallen. Diese werden sowohl auf Bankenseite als auch auf Verbraucherseite gescannt.

Wie wird sich die Anbieterlandschaft entwickeln?

Bertig: Betrachtet man zunächst den aktuellen Status, ist zu unterscheiden, ob es sich um einen reinen Scanner-Hersteller, also um ein Ein-Produkt-Unternehmen handelt, oder Scanner im Umfeld von Multifunktions- und Dokumentenlösungen produziert werden. Als Ein-Produkt-Unternehmen sehe ich Kodak Alaris, PFU, Inotec und Panasonic. Die Alternative dazu sind Unternehmen, die neben Scannern auch Drucker, Kopierer und Multifunktionsgeräte haben wie brother, Canon, Epson, HP und Avision. Für Ein-Produkt-Unternehmen ist es schwieriger, sich am Markt darzustellen. Daher suchen sie Anlehnung wie PFU an den Gesamt-Computer-Bereich von Fujitsu. Kodak Alaris findet man in einem Vertriebsgeflecht mit Kyocera und Inotec ist zur Datawin-Group gekommen. Früher oder später wird sich zeigen, wer überlebensfähig ist. Wie ECMguide.de bereits berichtete, wird sich Panasonic aus dem Markt zurückziehen – auch weil es bezüglich des Scanner-Umfelds als Ein-Produkt-Unternehmen zu sehen ist.

Sehen Sie Auswirkungen durch Trend-Technologien wie Robotic Process Automation (RPA), Künstlicher Intelligenz (KI) und Maschinellem Lernen (ML) auf die Entwicklung von Scannern?

Bertig: RPA und KI sind im Hauptthema etwas für den Prozess nach dem Scannen, wenn der Scanner seine originäre Leistung erbracht hat, die darin besteht, Papier einzuziehen, durch die Maschine zu jagen und ein qualitativ hochwertiges Bild für eine nachfolgende Anwendung zu erstellen. Es gibt Beispiele von Scannerherstellern, die in ihren verbauten Chips jetzt einen Mehrwert einfließen lassen, wie Bildverbesserung und teilweise OCR-Funktionalität. Das hat aber nichts mit RPA und KI zu tun, sondern ist einfach ein Algorithmus, der in den Chip gegossen ist. RPA und KI sind für die nachfolgenden Themen von Abbyy, Kofax, BCT, etc. gedacht, die mit dem Bild, das der Scanner vom Papier gemacht hat, etwas anfangen und damit weiter arbeiten.

Hiervon etwas bereits in den Scanner zu integrieren, macht also wenig Sinn?

Bertig: Ja, weil sich hier zu schnell etwas ändert. Es kommen Features dazu, die sich chiptechnisch nicht einfach integrieren lassen. Es kauft sich ja keiner einen neuen Scanner nur weil ein gewisses Update erfolgt ist. Die großen Scanner von den klassischen Herstellern sind sehr stabil gebaut und halten lange.

Welche technischen Trends beobachten Sie ansonsten im Bereich Scannen und Erfassen?

Bertig: Es gibt den Trend, PC-frei zu scannen, das heißt, dass Netzwerkscanner verstärkt eingesetzt werden. Erste Hersteller wie Canon und Kodak Alaris bringen sehr performante Geräte mit WLAN und RJ45 – also Netzwerkanbindungen. So brauchen Mitarbeitende keine PCs, sondern können mit Tablets und Laptops arbeiten. Außerdem gehen die Scan-Dateien direkt in Cloud-Lösungen. Spätestens durch Corona weiß man: über die Cloud kann ich mein Papier von überall erreichbar machen.

Wieviel Prozent der Scanner sind zum direkten Scannen in die Cloud Ihrer Meinung nach schon in der Lage?

Bertig: Vom Bestand an Scannern sind bestimmt 90 Prozent der Scanner hierzu nicht in der Lage. Die Netzwerkfähigkeit wird aber in der Regel in jedes neue Gerät integriert. Jetzt hat zum Beispiel Fujitsu den »ScanSnap« mit WLAN vorgestellt, auch Panasonic hat den kleinen Home-Office-Scanner mit WLAN und RJ45 ausgestattet. Es traut sich keiner mehr raus, ohne die Cloud in der einen oder anderen Weise zu unterstützen.

Im Bereich der Dokumentenscanner gibt es wie von Inotec Angaben zur Bildqualität gemäß dem FADGI-Standard. Wie hilfreich ist dies für Kunden und Anwender?

Bertig: Im Büro-Scan-Umfeld ist dies kein Thema. Der Standard bezieht sich auf historische Dokumente und Bücher von besonderem Wert. Dagegen ist er für Büropapier oder Buchhaltungsbelege nicht relevant, da man hier keine so hohe Qualität benötigt. Inotec arbeitet mit Scan-Partnern zusammen, die auch Archive aufarbeiten. Hier ist es vielleicht ein Argument zu sagen, auch der Einzugsscanner kann das.

Tipps für Scanner-Projekte

Was sollten Anwender beim Kauf eines Scanners aus Ihrer Sicht hauptsächlich beachten?

Bertig: Am besten geht man von der originären Leistung eines Scanners aus – der Transformation vom analogen Dokument sprich Papier in ein digitales Dokument. Im Grunde sind der Einzugsmechanismus und die Papierverarbeitungsmöglichkeit der unterschiedlichen Qualitäten das Wichtigste. Es gibt etwa 3.000 Papiersorten in Deutschland, die zwar nicht alle für das Büroumfeld relevant sind, aber alleine hier existieren Gewichtsunterschiede von 20 bis 300 Gramm. Anwendende müssen für sich definieren, welche Papierqualität vorliegt und welches Format: nur A4 und kleiner oder auch A3 und größer? A3 ist die Grenze für den Einzugsscanner. Alles was größer ist, wird mit Großflächenscannern bearbeitet, wo man auflegen kann, aber nicht mehr im Stapel verarbeitet. Ein weiterer Aspekt ist das Volumen, das für einen Auftrag oder täglich verarbeitet wird. Die Kernfragen für die Leistung des Scanners sind papierbezogen. Das andere sind dann Softwarelösungen, seien sie als Capture-Lösungen im Scanner integriert, für den PC oder als Server- oder Cloud-Lösung.

Wie verlässlich sind die Angaben der Scannerhersteller bezüglich der Leistungsdaten oder sollte man in jedem Fall selbst testen?

Bertig: Ja, testen muss man, wenn der Einsatz im Büro- oder Unternehmensumfeld geplant ist und zwar mit dem typischen Papiergut, das man hat. Ein Logistikunternehmen hat andere Papierqualitäten und –formate als die Vertragsabteilung eines Versicherungskonzerns und wieder andere als ein Steuerberater, dessen Bandbreite von fettigen Belegen über Thermobelege bis zu Vertragsunterlagen geht. Allerdings hängt das Scannen nicht nur von der Mechanik des Scanners, sondern auch dem Handling der Mitarbeitenden ab. Die Hälfte der Probleme beim Scannen kommt durch nicht angeleitete Mitarbeitende. Die Themen Papier und Handling werden bei der Digitalisierung am meisten unterschätzt.

Gibt es sonst typische Fehler, auf die Anwender bei der Anschaffung oder im Betrieb mehr achten müssten?

Bertig: Man sollte sich zum Beispiel auch vergewissern, dass das beim Scannen erzeugte Format wie PDF, PDF/A und TIFF zur Anwendung passt. Relevant ist auch, wo eine OCR-Texterkennung erfolgt. Geschieht sie beim Scanvorgang, also am PC, der an der Scanstelle angeschlossen ist, oder in einer Server- oder Cloud-basierten Lösung, die unter Umständen performanter ist.

Warum spielt das eine Rolle?

Bertig: Es ist zum einen eine Kostenfrage, da OCR in der Cloud oder als DMS-Modul in der Regel extra kostet. Macht man es am Posteingang braucht man einen leistungsstarken PC, weil die OCR-Verarbeitung rechenintensiv ist. Zum anderen ist es eine Zeitfrage: Es dauert bis alle Seiten erkannt sind und ein Dokument beispielsweise ein durchsuchbares PDF erstellt ist. Wenn ich 5.000 Eingangsbelege pro Tag habe, spielt es eine Rolle, ob ich mich damit aufhalte oder es in einen Server schiebe, der dann die Verarbeitungsschritte macht.

Haben Sie weitere Tipps für Scan-Projekte?

Bertig: Grundsätzlich muss man sich überlegen, wo das Thema Scannen im Organisationsumfeld passt, welche Software in Frage kommt und ob man On-Premises, serverbasiert oder in der Cloud arbeitet. Wer sich jetzt mit Digitalisierung beschäftigt, sollte auf jeden Fall überlegen, wie man eine Cloud-Lösung einbinden kann, weil das Möglichkeiten mit Home-Office und verteiltem Arbeiten schafft. Für manche Bereiche wird die Frage sein, wie Sicherheitsanforderungen erfüllt werden können, auch wie man Bilddokumente nach dem Erfassen signieren kann, was häufig im Behördenumfeld gefordert ist.

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.