Koalitionsvertrag: Reaktionen zu Digitalisierungspunkten

Owncloud-CeO Tobias Gerlinger begrüßt Ansatz zur digitalen Souveränität im Koalitionsvertrag (Bild: Owncloud)

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Owncloud-CeO Tobias Gerlinger begrüßt Ansatz zur digitalen Souveränität im Koalitionsvertrag (Bild: Owncloud)

Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP weckt bei IT-Verbänden und –Herstellern viele Hoffnungen. Schließlich ist darin die Digitalisierung unter »Moderner Staat, digitaler Aufbruch und Innovationen« als erster Themenpunkt noch vor dem Klimaschutz recht prominent platziert. Dass davon auch die ECM-Branche und verwandte Sektoren profitieren könnten, zeigen beispielsweise die Aussagen auf Seite 15 des Koalitionsvertrags 2021-2025 unter »Digitaler Staat und digitale Verwaltung«: »Digitalisierungshemmnisse (Schriftform u. a.) bauen wir mittels Generalklausel ab und vereinheitlichen Begriffe (z.B. „Einkommen“). Ein vertrauenswürdiges, allgemein anwendbares Identitätsmanagement sowie die verfassungsfeste Registermodernisierung haben Priorität. Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht. Auf Basis einer Multi-Cloud Strategie und offener Schnittstellen sowie strenger  Sicherheits- und Transparenzvorgaben bauen wir eine Cloud der öffentlichen Verwaltung auf.

Owncloud-Chef begrüßt Open-Source-Ansatz

Dass die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag explizit die Absicht erklärt, Neuentwicklungen von Behörden in der Regel als Open Source zu beauftragt, begrüßt beispielsweise Tobias Gerlinger, CEO und Managing Director von ownCloud in Nürnberg: »Wir gehen davon aus, dass sich der Geist dieser Absichtserklärung auch auf die Beschaffung von Standardsoftware erstreckt. Es muss ja nicht so weit gehen wie in Frankreich, wo der interministerielle Direktor für die Digitalisierung des Staates der Öffentlichen Verwaltung den Einsatz von Microsoft Office 365 kürzlich gänzlich untersagte. Aus unserer Sicht reicht es aus, wenn die deutschen Behörden – wo immer das möglich ist – konsequent europäische Open-Source-Lösungen beschaffen.

Positiver Nebeneffekt: Der Staat kann sich so auch dem teuren Lock-in-Effekt proprietärer Lösungen entziehen. Wie stark dieser Effekt ist, zeigt nicht zuletzt die Ausgabenentwicklung des Bundes für Microsoft-Produkte. Wie im vergangenen Jahr eine Anfrage an die Bundesregierung offenbarte, vervierfachten sich diese Ausgaben seit 2015 beinahe und betrugen im Jahr 2020 satte 178,5 Millionen Euro. Hier sind durch den konsequenten Einsatz von Open-Source-Lösungen signifikante Einsparungen zu erwarten.«

Bitkom-Präsident sieht viel Positives

Bitkom-Präsident Achim Berg sieht im Koalitionsvertrag viele gute Ansätze in puncto Digitalisierung (Bild: Bitkom)

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Bitkom-Präsident Achim Berg sieht im Koalitionsvertrag viele gute Ansätze in puncto Digitalisierung (Bild: Bitkom)

Laut Bitkom-Präsident Achim Berg bleibt der Koalitionsvertrag in puncto Digitalisierung etwas hinter den hohen Ansprüchen des Sondierungspapiers zurück. Trotzdem biete er eine Fülle guter Ansätze, um Deutschland fit zu machen für die digitale Welt. Unter anderem äußert Berg: »Der Koalitionsvertrag enthält viele konkrete Projekte, die wir sehr positiv sehen und die jetzt schnell angegangen werden müssen. An die Spitze der Prioritäten gehört die Digitalisierung, Modernisierung und Entbürokratisierung der Verwaltung. Positiv ist das Vorhaben, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und das gleich im ersten Jahr auf den Weg zu bringen. Die Einführung eines digitalen Gesetzgebungsportals kann Transparenz, Teilhabe und Vertrauen in einen handlungsfähigen Staat stärken. Erfreulich ist auch, dass Digitalisierungshemmnisse wie Schriftformerfordernisse abgebaut werden sollen. Hier sollte ein klarer zeitlicher Rahmen nachgereicht werden. Noch im ersten Jahr soll der Digitalpakt Schule beschleunigt und von bürokratischem Ballast befreit werden, was auch unbedingt nötig ist, damit die Milliarden endlich bei den Schulen ankommen. Die neue Bundesregierung will die Digitalstrategie von Grund auf überarbeiten, digitale Schlüsseltechnologien fördern und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöhen. Für den privaten Sektor schaffen Superabschreibungen auf Investitionen in Digitalisierung und Klimaschutz wichtige zusätzliche Anreize. Für die innovative Startup-Szene sind es positive Signale, einen vereinfachten, rechtssicheren Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu bekommen und bei Forschungsausgründungen von ‚Science-Entrepreneurship-Initiativen‘ begleitet zu werden.«

VeR unterstützt elektronisches Meldesystem für Rechnungen

Dass die Koalition neben den vielen, ganz offensichtlich dringenden Handlungsfeldern aus dem sozialen, gesellschaftlichen, ökologischen und bildungspolitischen Spektrum auch die (leider) häufig noch allzu schwerfälligen Verwaltungs- und Übermittlungsprozesse – etwa beim Thema Steuern und Finanzen – als überaus dringlich erkannt hat, wertet der Verband elektronische Rechnung (VeR) als besonders wichtiges Signal.

Denn schließlich sei es der neuen Regierung nicht nur im »Bereich der Unternehmensbesteuerung (…) ein Anliegen, die Steuerprüfung zu modernisieren und zu beschleunigen« (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 166 unter »Vollzug, Vereinfachung und Digitalisierung«). Auch will man »schnellstmöglich ein elektronisches Meldesystem bundesweit einheitlich einführen, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet wird« (Koalitionsvertrag, S. 167) – um damit den noch immer problematischen Umsatzsteuerbetrug in Deutschland zu bekämpfen.

Stefan Groß, Steuerexperte und Vorstandsvorsitzender des VeR, erklärt dazu: »Als Expertenverband der deutschen E-Invoicing-Branche begrüßen wir das klare Bekenntnis der Koalitionspartner zur Einführung eines einheitlich geregelten, digitalen Systems zum Austausch von Rechnungs- und Mehrwertsteuerinformationen in Deutschland. Über ein derartiges System lässt sich nicht nur Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen, vielmehr ist es insbesondere geeignet die Digitalisierung im Rechnungswesen und damit den digitalen Reifegrad bei den Unternehmen entscheidend voranzutreiben. Bei aller Euphorie empfehlen wir jedoch nachdrücklich, aus den Eindrücken und Erfahrungen unserer europäischen Partnerländer – allen voran Italien – zu lernen, um etwaige Hürden und mögliche Fehler bei der Planung und Ausgestaltung des neuen elektronischen Meldesystems für Deutschland zu vermeiden.«

Xsuite sieht Bedarf für E-Rechnungsprozesse

Die Ankündigung eines bundesweit einheitlichen elektronischen Meldesystems für Rechnungen nimmt auch ECM-Hersteller xSuite Group bereits als Anlass seine Kunden auf Maßnahmen für die Verarbeitung von E-Rechnungen hinzuweisen. Dabei verweist der Hersteller ebenfalls auf das verpflichtende E-Rechnungssystem in Italien und erklärt weiter: »Auf EU-Ebene verdichtet sich das Thema immer mehr und wird auch von Deutschland laut Koalitionsvertrag stark vertreten werden.« Dies bedeute laut Xsuite, dass Geschäftsprozesse stärker digitalisiert werden müssen. Der Weg vom Papier weg wurde von den meisten Unternehmen schon angetreten, jedoch gebe es an vielen Stellen noch Handlungsbedarf. Durch die konkreten, wahrscheinlich bald umfassend verpflichtenden Maßnahmen der Regierung zur E-Rechnung, müssen Unternehmen sich auf die Weiterverarbeitung von E-Rechnungen vorbereiten.

Was halten Sie von den neuen Ankündigungen im Koalitionsvertrag und den Reaktionen von Herstellervertretern und Verbänden? Schreiben Sie es uns oder nutzen Sie gerne die Kommentarfunktion.

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.