Rückblick auf das Akquisitionsgeschehen im ECM-Umfeld 2020

Karsten Renz ist auch knapp ein Jahr nach der Übernahme durch Ricoh CEO von Optimal Systems (Bild: Optimal Systems)

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Karsten Renz ist auch knapp ein Jahr nach der Übernahme durch Ricoh CEO von Optimal Systems (Bild: Optimal Systems)

Der Übernahmereigen in der Enterprise-Content-Management- (ECM-) Branche begann gleich im Januar mit OPTIMAL SYSTEMS, die von Kyocera übernommen wurde. Wie andere hinzugekaufte Unternehmen von Kyocera ist der Berliner ECM-Hersteller weiterhin als eigenständiges Tochterunternehmen innerhalb der Kyocera-Gruppe zu finden. Nach wie vor ist auch der Gründer von Optimal Systems Karsten Renz noch als CEO tätig. Renz Plan war, durch die Akquisition die internationale Präsenz des Unternehmens auszubauen, wie er im Zuge der Übernahme erklärte: »International sehen wir noch Potenziale. Dafür ist es attraktiv, eher bestehende Strukturen zu nutzen, als diese selbst aufzubauen. Unsere Ressourcen möchten wir lieber weiter in die Entwicklung unserer Technologien, in unsere Mitarbeiter sowie unsere Kunden und Partner stecken, als in den Aufbau internationaler Organisationen und den Aufbau einer internationalen Marktakzeptanz. Kyocera bietet uns vor allem vertriebliche Synergien für internationales Wachstum.« Ob dieser Plan aufging ist unklar, da Kyocera im Ausland ebenfalls ECM-Hersteller übernahm.

Fast zeitgleich mit Optimal Systems wurde beispielsweise in Frankreich die Übernahme von Everteam bekannt. Dieser Deal stellt beispielsweise für Gartners Einordnung Kyoceras in den Magic Quadrant für Content Services Platforms (CSPs), der sich auf ECM-Systeme bezieht, wohl die bedeutendere Akquisition dar. Bei Gartners Betrachtung spielt die »EverSuite CSP« von Everteam die wesentliche Rolle. Als Kritik von Kyoceras CSP-Bereich führt das Marktforschungsunternehmen dann eben auch an, dass Kyocera durch die Zukäufe eine Reihe von sich überschneidenden Produkten mit konkurrierenden Anforderungen an Investitionen und Innovationen in seinem CSP-Portfolio hat. Zudem sei die Strategie zur Konsolidierung noch nicht ausgereift.

Opentext übte sich in Zurückhaltung

Das technologisch und bezogen auf den Umsatz marktführende ECM-Unternehmen OpenText hielt sich mit Akquisitionen 2020 auffällig zurück. Für rund 75 Millionen Dollar in bar hat das kanadische Unternehmen das ebenfalls in Kanada beheimatete Unternehmen XMedius im März übernommen. Damit ist der Kauf des Spezialisten für Fax-over-IP eine eher kleinere Übernahme für Opentext. Zwar sei die Fax-Technologie generell nicht unbedingt das innovativste Feld, doch dafür weit verbreitet, teilte Muhi Majzoub, Executive Vice President, Engineering von Opentext, in einem Gespräch mit ECMguide.de mit. Teilweise auch aufgrund der Sicherheit gegenüber Cyberangriffen nutzen sie beispielsweise bestimmte Branchen wie im medizinischen und juristischen Umfeld immer noch bevorzugt. Mit der Technologie von Xmedius will Opentext künftig Cloud- und Hybrid-Fax-Lösungen sowohl im Enterprise-Bereich als auch für kleine und mittelgroße Unternehmen anbieten. Eventuell hat die geringe Übernahmeaktivität etwas dazu beigetragen, dass Opentext im diesjährigen CSP Magic Quadrant nicht ganz so gut weg kam wie im vergangenen Jahr. Zwar positioniert sich Opentext hier noch immer im begehrten Leaders Quadranten, aber nicht mehr so exponiert wie zuvor.

Hyland kaufte Know-how und Marktanteile hinzu

Dafür schnitt der internationale Konkurrent Hyland bei Gartner deutlich besser ab – vielleicht auch, weil er akquisitionstechnisch aktiver als Opentext war. Im Februar hat das US-Unternehmen das junge Softwareunternehmen Learning Machine übernommen, das Blockchain-basierte Lösungen für die Authentifizierung digitaler Leistungs- und Qualifikationsnachweise entwickelt. Dessen Lösung »Learning-Machine-Issuing-System« soll die Erstellung und den Austausch von digitalen Dokumenten und Zertifikaten erleichtern, die mithilfe einer Blockchain gesichert sind. »Diese Akquisition ist ein wichtiger Schritt in Richtung unseres Ziels, die Art und Weise zu revolutionieren, wie Organisationen vertrauliche Dokumente elektronisch austauschen«, erläutert Bill Priemer, Präsident und CEO von Hyland. Der Hersteller plant, die Blockchain-Technologie in seine bestehenden Plattformangebote zu integrieren und gleichzeitig alle aktuellen Lösungen und Kunden von Learning Machine weiterhin zu unterstützen.

Hyland-CEO Bill Priemer konnte 2020 drei Übernahmen abschließen (Bild: Hyland)

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Hyland-CEO Bill Priemer konnte 2020 drei Übernahmen abschließen (Bild: Hyland)

Im August übernahm Hyland mit Another Monday einen deutschen Hersteller von Lösungen für robotergesteuerte Prozessautomatisierung (Robotic Process Automation, RPA). Another Monday stammt aus Köln und entwickelt unter der Bezeichnung »AM« eine RPA-Plattform sowie ergänzende Tools dazu. Die End-to-End-RPA-Softwarelösung soll den Prozessautomatisierungsfokus von Hyland und dessen Content-Services-Produktportfolio erweitern. »Die Ergänzung der Content-Services-Plattform von Hyland um RPA erweitert unsere Angebote zur Low-Code-Prozessautomatisierung und ermöglicht unseren Kunden die Erreichung einer neuen Stufe in ihrer digitalen Transformation«, erklärt Priemer.

Am spektakulärsten war im September und Oktober die Übernahme des international bekannten Anbieters Alfresco, deren ECM-Lösung Open-Source-basiert ist. Die Lösungen von Alfresco sollen das Content-Services-Angebot von Hyland ergänzen und mit der Open-Source-Community neue Quellen für zukünftige Produktinnovationen bieten. Zudem hofft der US-Anbieter gerade in Europa seine globale Präsenz mit zusätzlichen Kunden und branchenerfahrenen Partnern und Mitarbeitern zu erweitern. Allerdings war es, wie Marktbeobachter mitteilen, in Deutschland sowie in  anderen europäischen Ländern und den USA in den letzten zwei Jahren relativ ruhig um Alfresco geworden.

Weitere Übernahmen in Deutschland

Nach der Akquisition des ECM-Herstellers DocuWare im Sommer 2019 kaufte der japanische IT-Konzern Ricoh mit DataVision im September dieses Jahres ein weiteres deutsches IT-Unternehmen. Datavision ist auf die Konzeption und Integration moderner Konferenzraum- und Arbeitsplatzlösungen spezialisiert. Hierzu zählt auch Unified Communications & Collaboration (UCC), audiovisuelle Technologien (AV) und Lösungen für das Workplace- und Meeting-Room-Management. Ähnlich wie Docuware wird Datavision unter dem bestehenden Firmennamen als hundertprozentige Tochtergesellschaft von Ricoh fortgeführt.

Ebenfalls im September verkaufte Materna sein Tochterunternehmen IQDoQ an das niederländische Unternehmen Total Specific Solutions (TSS). Iqdoq ist auf die Gesundheits- und Logistikbranche spezialisiert und bietet dafür elektronische Akten und andere ECM-Lösungen an.

Zum Ende des Jahres änderten sich auch die Eigentumsverhältnisse beim börsennotierten deutschen ECM-Hersteller EASY SOFTWARE. Hier übernahm der Finanzinvestor Battery Ventures 78 Prozent  der Anteile, die sie zu einem Preis von 11,50 Euro je Aktie erworben haben, was einer Kaufsumme von 74,1 Millionen Euro entspricht. Der bekannte deutsche ECM-Hersteller durchlief mit vielen Wechseln im Führungsbereich turbulente Zeiten. Noch diese Woche soll der Aufsichtsrat ausgewechselt werden, doch am Vorstand und der restlichen Führung soll sich nichts ändern. Strategisch sieht die Planung eine Verlagerung des ECM-Geschäfts in die Cloud vor, das bei Easy derzeit hauptsächlich noch stationär abläuft.

Neue Technologien wie Blockchain, KI, RPA und der schon länger andauernde Trend zu cloudbasierten Lösungen dürften dafür sorgen, dass es auch 2021 einige Zukäufe und Übernahmen geben wird.

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.