Hitzige Reaktionen auf die Übernahme von EMC/Dell durch Opentext

Letzte Woche hat wie von uns gemeldet, OpenText bekannt gegeben, die Documentum- beziehungsweise Enterprise-Content-Division von EMC/Dell für 1,62 Milliarden Dollar zu übernehmen. Die Übernahmeankündigung hat wie erwartet für einige Kommentare gesorgt. Sehr emotional und pessimistisch reagierte beispielsweise John Newton, der Mitgründer von Documentum war. Thomas Kleiner, CEO von iXenso, bedeutender Opentext-Partner in Europa, nimmt den Deal in Schutz und warnt vor zu schnellen Schlüssen. Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer von Project Consult Unternehmensberatung, ist gerade was die Integrationsbemühungen der Produktlinien beider Hersteller angeht, auf der Seite der Skeptiker.

John Newton bedauert die Übernahme

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Inzwischen hat John Newton das ECM-Unternehmen Alfresco erfolgreich mitaufgebaut und ist dort als CTO aktiv tätig. Zunächst schreibt er in seinem Blog unter anderem, dass es nicht einfach sei, das endgültige Schicksal von Documentum mitanzusehen. Im weiteren Verlauf ist zu lesen: »Ich selbst habe Documentum bereits einige Jahren vor der Akquisition durch EMC verlassen. Dennoch habe ich auch danach sehr genau mitverfolgt, wie es mit Documentum weiterging. In meinen Augen deckte sich die Absicht von EMC damals mit derjenigen, die Opentext jetzt mit seiner Akquisition verfolgt: das größte Unternehmen im Bereich Enterprise Content Management (ECM) zu werden. Oder – wie Opentext es nennt – innerhalb des »Informationsmanagements«. Die gebündelten Marktanteile beider Unternehmen, so scheint es, überholen IBM. Damit verfolgt Opentext seinen traditionellen Wachstumspfad weiter.

In etwa im Laufe der letzten zehn Jahre ist Opentext nicht mehr organisch gewachsen, sondern durch die Übernahme kleinerer ECM-Anbieter und Anbieter im Business Process Management (BPM) Sektor. Hier wären zum Beispiel OpenDocs/Hummingbird und Autonomy von HP auf der ECM-Seite und Unternehmen wie Global360 und Metastorm auf der BPM-Seite zu nennen. Das Muster wiederholt sich im Großen und Ganzen: Kaufe ein Unternehmen, dessen Produkt-Portfolio sich mit deinem überschneidet, mit Kunden, für die die Opentext-Technologie auch passen könnte, und versichere diesen Kunden, dass in ihre Anwendungen weiter investiert wird. Leider funktioniert das so nicht. Stattdessen verkümmern die Produktlinien.

Documentum hat sich in derselben Zeit in eine ganz andere Richtung entwickelt. Unter der Führung von Dave DeWalt, der das Unternehmen 2001 übernahm, hat Documentum Technologien erworben, die ihr Produktportfolio ergänzten und Bestandskunden Mehrwert liefern sollten. Auch nach der Akquisition durch EMC schien Documentum – nun als Teil eines größeren Hardware-Unternehmens – noch über einen gewissen Autonomie-Grad zu verfügen. Das änderte sich, als der Hardwaresektor von EMC die Kontrolle übernahm und DeWalt das Unternehmen verließ. Seither ging es langsam, aber stetig bergab.

Es gab einen mutigen Versuch, die Marke durch »Project Horizon« wiederzubeleben, das nun Documentum LEAP heißt. Die Realisierung dauerte jedoch Jahre. Dennoch: Es handelt sich um ein komplett neues Produkt, das kaum Gemeinsamkeiten mit Documentum aufweist – abgesehen von der Tatsache, dass es sich um eine Content-Plattform handelt. Als Dell EMC übernahm, gab es kein Projekt, das Documentum retten würde. Es war zu spät zu wenig unternommen worden und so kam Documentum unter den Hammer.

Der weitere Verlauf ist vorgezeichnet. Wie bei so vielen anderen Übernahmen durch Opentext wird es halbherzige Investitions-Beteuerungen geben. Opentext oder Documentum – es sieht ganz so aus, als wäre das Management von Opentext, insbesondere Tom Jenkins, davon überzeugt, welches von beiden das bessere Produkt ist. Man muss sich nur anschauen, wer wen übernommen hat und wer den größeren Marktanteil hat. Das wird dazu führen, dass Opentext versuchen wird, Kunden auf ihre Plattform zu zwingen, den Documentum Kundenstamm mürbe zu machen und in der Zwischenzeit Wartungsgebühren zu verlangen. Einige Documentum-Kunden werden dann erkennen, dass sie in Opentext ein suboptimales Produkt für ihre Bedürfnisse haben – wenn sie erst einmal herausgefunden haben, wie das Innenleben von Opentext funktioniert, mit seinem ganz anderen Ansatz und einer nicht gerade besonders schnellen Repository-Engine. Fragen Sie ruhig die Vertriebsmitarbeiter oder Solutions Engineers von Documentum, die sich damit Tag für Tag herumschlagen.

Vielleicht glaubt Opentext ja sogar, dass es eine Upgrade-Möglichkeit für Documentum Kunden zu LEAP gibt. Die eigenen Bemühungen von Opentext, sich in Richtung eines SaaS-Modells und zu einer modernen Softwarearchitektur weiterzuentwickeln, waren bis jetzt nicht erkennbar – geschweige denn erfolgreich. Wenn, dann steht sowohl den Opentext- als auch den Documentum-Kunden eine Überraschung ins Haus. Es wird nicht funktionieren. Obwohl es große Überlappungen innerhalb des Kundenstamms und konkurrierende, sich überschneidende Vertriebsorganisationen gibt, sieht alles in allem nicht vielversprechend aus.«

Thomas Kleiner rät zu einer differenzierteren Betrachtungsweise

Thomas Kleiner, CEO, iXenso

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Thomas Kleiner, CEO, iXenso

Die eher negativen Kommentare wie diesem von John Newton haben Thomas Kleiner, CEO des Freiburger ECM- und DMS-Spezialisten Ixenso, wohl dazu bewogen, vor allzu schnellen Schlüssen zu warnen und zu einer differenzierteren Betrachtungsweise zu raten. Ixenso ist mit rund 100 Mitarbeitern einer der führenden Opentext-Partner in Europa.

Thomas Kleiner fasst seine Meinung folgendermaßen zusammen: »Viele Statements und Prognosen, die teils schon wenige Stunden nach Bekanntgabe der Akquisition veröffentlicht wurde, greifen aus unserer Sicht deutlich zu kurz. Denn es entsteht weder ein wildes, kaum noch durchschaubares Produkt-Wirrwarr, noch wird Opentext durch Documentum nun auf einen Schlag zum unangefochtenen Leader im ECM-/EIM-Segment. Und »übernommene« Kunden stehen angesichts großer (und sehr großer) Wettbewerber gerade im Cloud- und SaaS-Umfeld auch keinesfalls vollkommen alternativlos da. Übersehen wird generell völlig, dass Übernahmen wie diese im Sinne des kontinuierlichen Ausbaus einer strategischen EIM-Plattform betrachtet werden sollten – ein Ziel, das von Opentext-CEO Mark Barrenechea auch in der Vergangenheit immer wieder klar betont wurde und seit Jahren konsequent verfolgt wird. Und genau hierzu kann es sich mittel- bis langfristig als äußerst sinnvoll erweisen, durch gezielte Zukäufe Marktpotenzial in bislang durch Opentext eher spärlich besetzten Segmenten zu erschließen.«

In seinem Blog schreibt Thomas Kleiner etwas ausführlicher unter anderem zu den Opentext-Wettbewerbern folgendes:

»IBM wird als Gegengewicht und Alternative angepriesen, als der einzige Hersteller der noch Paroli bieten kann. Mit Nichten! Gerade hier zwingt sich keinesfalls der Eindruck auf, dass die FileNet- Integration auch nur ansatzweise gelungen ist und ein strategischer Plattformgedanke konsequent verfolgt wird. Tendenziell wird IBM mittelfristig so eher zum ECM-Nischenplayer, denn zum Leader. Microsoft mit SharePoint/Office365? Hierzu herrscht in der Einschätzung ausnahmsweise größtenteils Konsens, denn als »Single point of Entry« (Intranet) durchaus vorstellbar und insbesondere mit der kollaborativen Erstellung (Multi User Editing) von Office Dokumenten – sofern man es in der Realität überhaupt benötigt – eine gute Wahl. Als eigenständige ECM-Plattform mit einem Experten-(Ge)Wissen aber keinesfalls zu empfehlen.

Es ist von einem »Bauchladen der Produkte« die Rede, dem »unmöglichen Ziel der Integration«, der Forderung nach einem »Portfolio aus einem Guss«. Die existierenden Suiten sollen nur ein »Sammelsurium von hinzugekauften Produkten« sein, welche teilweise – wie z.B. bei Documentum – auf Technologien basieren, welche die besten Jahre schon gesehen haben (Bezüglich veralteter Technologie volle Zustimmung). Aber war/ist eine Integration/Konsolidierung der unzählig zugekauften Produkte seitens Mark Barrenechea und Muhi Majzoub überhaupt das Ziel? Oder eher die technischen »Filetstücke« oder schlicht einfach nur den Markt bzw. eine Kundenbasis in noch nicht so stark besetzten Branchen/Segmenten (wie nun bei Documentum) zu kaufen und das Cross Selling Potential in Richtung der eigenen strategischen EIM Plattform zu nutzen? Und was ist denn bitte so verwerflich daran, in diesem Kontext auch das doch so böse Wort »Migration« ins Spiel zu bringen? Ach so… stimmt, Investitionsschutz! Sind für diese Investitionsruinen denn nun wirklich nur die Hersteller verantwortlich oder nicht auch teilweise beratungsresistente IT Manager im blind kopierten »Adaptierungswahn«? Nun aber Enterprise Content Management als Konzept und Markt komplett in Frage zu stellen, geht deutlich zu weit.«

Dr. Ulrich Kampffmeyer blickt auf unsortierten Opentext-Bauchladen

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Teilweise scheint Thomas Kleiner mit seinem Blog-Beitrag auch auf eine Stellungnahme von Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer von Project Consult Unternehmensberatung, einzugehen. Seinen Blogbeitrag hat ECMguide.de bereits im ersten Artikel zur Übernahme zitiert. Dr. Ulrich Kampffmeyer schreibt unter anderem: »Nun steht Opentext weltweit als der unumstrittene Führer bei der Software zum Thema Enterprise Information Management da. An die Problematik der Integration, der Schaffung eines stabilen Unternehmens und eines durchgängigen Portfolios wagt man kaum zu denken – denn auch bei EMC war vieles nicht richtig zusammengeführt, z.B. InfoArchive, LEAP und andere Module. Die Pressemitteilung wirbt dagegen mit »Acquisition Will Allow Customers to Accelerate Digital Transformation with a Fully Integrated Enterprise Information Management Portfolio including Deep Industry Solutions for Enterprise Content Management and Information Life Cycle Management« – nein Freunde, Beschleunigen wird dies erst mal gar nicht, da Opentext jetzt schon einen ziemlich unsortierten Bauchladen hat. Die Arbeiten, um wirklich ein »Fully Integrated Enterprise Information Management Portfolio« anzubieten, werden sich über Jahre hinziehen – wenn es denn nicht sowieso bei separaten Unternehmenssparten bleibt. Und das eine oder andere aktuell zum Verkauf stehende Unternehmen könnte als Abrundung für Opentext auch noch interessant sein.«

Die Wettbewerbssituation betrachtet Dr. Ulrich Kampffmeyer folgendermaßen: »Stellt sich die Frage, wie die anderen großen Softwareanbieter darauf reagieren. IBM kann sicher noch Paroli bieten, aber von Oracle oder HPE kann man in Punkto ECM Enterprise Content Management nicht viel erwarten. Die ECM-Software-Division von Lexmark ist quasi in Auflösung und kann schwerlich noch zu den ganz Wichtigen gerechnet werden. Microsoft? – wandert mit dem Sharepoint in die Cloud, ohne dass der Sharepoint jemals überhaupt den Anspruch an ein vollständiges ECM erfüllt hätte.

Unterhalb dieser Riege werden sich die größeren Mittelständler versuchen zu platzieren. Aber die »Game Changer« sind die großen Internet-Konzerne mit SaaS-Angeboten. Auch hier braucht Opentext noch eine schlagkräftige Antwort – von den ganzen Kleineren einmal ganz zu schweigen. Denn viel von dem, was Opentext im Kern ausmacht und besonders die Neuerwerbung Documentum, sind eigentlich schon jenseits ihres Lebenszyklushöhepunktes, sprich vieles ist veraltet. ECM ist so gesehen ein Sammelsurium von Altlasten. Damit wird sich auch die Frage erneut stellen, ob und wie man sich als ECM-Anbieter positioniert. Opentext schreitet schon seit langem voran und proklamiert den Wandel zu EIM Enterprise Information Management (siehe auch unseren Vortrag auf der OpenText Konferenz 2013). Das zukünftige Portfolio von Opentext geht weit über die bisherigen Definitionen von ECM hinaus. Als Marktführer in diesem Segement setzt Opentext hier die zukünftigen Standards für Lösungen.

Und … damit beginnen auch bei vielen Documentum-Anwendern und -Integratoren die Fragen, wie es weitergeht. Einige Unternehmen – auch in Deutschland – haben ihre Documentum-Lösungen in jüngerer Vergangenheit in Frage gestellt (weil es auch mit der Weiterentwicklung, der Roadmap und dem Support durch EMC nicht so toll aussah). Diese werden sich jetzt noch mehr beeilen und Migrationen planen. Andere müssen ihre Strategie erst bewerten, denn in einigen Branchen ist Documentum weiterhin bei großen Unternehmen »gesetzt«: Finanzen, Pharma, Industrie. Dort sind vielfach aber auch »Aufsätze« als Anwenderlösung im Einsatz, die im Unterbau anstelle Documentum auch andere ECM-Basislösungen bedienen könnten. Die mittelständischen ECM-Anbieter werden diese Umwälzungen im internationalen Geschehen eher als Chance sehen, da der deutsche Mittelstand angesichts der »Unsicherheiten« der »Ganz Großen Anbieter« nun noch eher zu Lösungen aus Deutschland greifen wird.«

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.