»Es herrscht eine große Angst vor disruptiven Geschäftsmodellen«

Wie läuft das Geschäft auf dem deutschen Markt für OpenText?

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Illing: Gut, sehr gut. Wir sind wie in den letzten Jahren immer kontinuierlich gewachsen. Da wir uns als börsennotiertes Unternehmen aber in der sogenannten quiet period befinden, kann ich nicht mehr dazu sagen. Hinzukommt, dass wir generell unsere Geschäftszahlen nicht heruntergebrochen auf Länderebene publizieren.

Der deutsche Enterprise-Content-Management-(ECM-) Markt ist von vielen deutschen mittelständischen ECM-Firmen wie ELO, Docuware, SER, Optimals Systems usw. geprägt. Wie positioniert sich Opentext in diesem Feld?

Illing: Opentext verfügt über ein umfassendes komplett integriertes Produktportfolio, dessen einzelne Suiten durchgängig miteinander arbeiten können. Auf der im November stattfindenden »Enterprise World« in Las Vegas wird Opentext die neueste Version hierzu vorstellen. Wir sind seit Jahren über »Extended ECM« – das ist quasi ein Content-Server – sehr tief in andere Plattformen und Produkte, allen voran SAP aber auch Oracle und Salesforce integriert. Hierüber lässt sich der in unseren Systemen abgelegte Content beispielsweise in jedem SAP-Arbeitsschritt zur Verfügung stellen. Außerdem haben wir eine durchgängige Output-Strategie, um den Content entsprechend auf unterschiedlichen  Kanälen und mobilen Geräten auszugeben. Es lässt sich auch die gesamte Kundenkommunikation integriert über ein Repository halten. Alle Daten, die ins Unternehmen hinein- und hinausgehen, die zwischendurch produziert und präsentiert werden – sei es auf mobilen Plattformen oder im SAP-Frontend »Fiori« kann Opentext managen. Es gibt keinen anderen Anbieter am Markt, der dies bieten kann.

Auf welche Kunden treffen Sie typischerweise mit diesem Angebot?

Illing: Mein Vertriebsteam fokussiert sich in erster Linie auf Unternehmen mit mehr als 500 Millionen Euro Umsatz, weil das Investment in unsere Technologie eine gewisse Unternehmensgröße erfordert. In dieser Größenordnung werden die klassischen lokalen Player immer weniger. Einer unserer weiteren Vorteile ist, dass wir Kunden weltweit begleiten, weil wir auf jedem Kontinent und in jedem wichtigen Land mit eigenen Ressourcen vertreten sind. Kleinere Unternehmen, denen es beispielsweise hauptsächlich auf die Archivierung der SAP-Daten ankommt, beziehen unser Produkt häufig direkt über SAP und autorisierte Partner.

Auch zum Teil neue internationale Anbieter wie Alfresco, Hyland und M-Files wollen hierzulande Marktanteile sichern. Wie wird sich das Anbieterfeld in Deutschland in Zukunft entwickeln?

Illing: Den genannten internationalen Anbietern begegnen wir eigentlich nicht. Wenn, dann sehen wir eher die deutschen Anbieter. M-Files ist sehr stark im skandinavischen Bereich vertreten. Unternehmen wie dieses, gehen sehr oft den Weg der lokalen Sprache.

Welchen typischen Projektanforderungen begegnet Opentext?

Illing: Wir sehen insgesamt, dass die Ausschreibungen immer komplexer werden. Beispielsweise im E-Government-Bereich möchten die Kunden im Zusammenhang mit der Agenda 2020 durchgängige Systeme haben, die alle integrierbar sein müssen.

Quasi jedes Angebot muss Cloud-Funktionalität abdecken

Wie schwierig ist es, durchgängige Systeme zu realisieren?

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Illing: In diversen Industriezweigen gibt es typischerweise eine ähnliche Anzahl von Systemen, die Content beziehungsweise Dokumente erzeugen, welche wiederum Enterprise-Content- Management-Projekte treiben. Versicherungen haben nur drei bis vier, darunter beispielsweise ein Back-end-System und Software für die Kundenkommunikation. Im Bereich Banken und Finanzwesen sind es schon 30 bis 50 und im produzierenden Gewerbe sind es 500 und mehr. Mit einem ECM-System wollen die Kunden mehrere Dinge machen, zum einen die Governance-Regeln sicherstellen, zum anderen die Systeme integrieren. Dabei gilt, in jedem Arbeitsschritt das richtige Dokument im richtigen Format am richtigen Ort zu haben. Das geht nur, wenn ich dies entlang kompletter Geschäftsprozesse machen kann. Also muss ich auch andere Systeme gut integrieren können, was immer wieder eine große Herausforderung ist. Doch je komplexer die Aufgabenstellung ist, je mehr Systeme zu integrieren sind, desto besser ist das für Opentext. Wir sind hier sehr gut aufgestellt, was nicht heißt, dass wir keine Konkurrenz haben. Aber ab einer gewissen Unternehmensgröße fällt es uns sehr viel leichter, uns zu positionieren als in Konkurrenz mit einer Best-of-Breed-Lösung zum Beispiel mit einem Dokumentenmanagement-System für Rechtsanwälte.

In welchen Branchen sind sie am stärksten?

Illing: Eigentlich in allen Branchen. Generell kann man sagen, dass wir dort stark sind, wo auch SAP stark ist. Opentext ist seit weit mehr als zehn Jahren auf der SAP-Preisliste, so dass Opentext im Umfeld dieser Installationen groß geworden ist. Bei Lösungen, die Mainframe-basiert sind, und im Back-end-Bereich findet man uns weniger.

Unterscheidet sich das Geschäft in Europa vom weltweiten?

Illing: Im Großen und Ganzen unterscheidet es sich nicht. Es gibt in Europa Länder, die mittelstandsgetrieben sind. Hier verkaufen wir öfter erstmal eine Einzellösung anstatt einer Plattform. Trotzdem ist Europa ähnlich zum Rest, da es einen starken Ingenieurs-Standort darstellt. Gerade in Deutschland sind Themen wie Digitalisierung und  Industrie 4.0 starke Treiber des ECM-Themas.

Wie ist hier die Nachfrage die ECM-Lösungen aus der Cloud zu bedienen?

Illing: Die Nachfrage nach Cloud-Lösungen wird immer stärker. Kunden fragen die Cloudfähigkeit in so gut wie jedem Angebot ab. Ob es am Ende auch zu einer Cloud-Lösung kommt, ist sehr unterschiedlich und hängt auch von den Dokumentarten und Prozessen ab. Beim Ablegen von Rechnungen in der Cloud bestehen keine Vorbehalte, während es bei geistigem Eigentum schon anders aussieht. Insgesamt kann man sagen, dass etwa ein Drittel der europäischen Projekte eine Cloud-Lösung beinhaltet – sei sie in Form einer Public-, Private- oder Hybrid-Cloud. 

Welche Voraussetzungen müssen Sie als ECM-Anbieter für Cloud-Lösungen erfüllen?

Illing: Als Anbieter braucht man hier alle Zertifizierungen, die es gibt, wie SOC 2 oder bestimmte ISO-Standards. Trotzdem läuft man bei einem Cloud-Projekt durch einen Prozess, der manchmal länger als bei On-Premise-Lösungen dauert. Berücksichtigen müssen Anbieter auch, dass sich gegenüber dem klassischen Lizenzgeschäft die Umsatzströme ändern. Zwar ist das Umsatzvolumen nicht kleiner, aber pro Kunde verteilt es sich stärker über die gesamte Projektlaufzeit.

Wie sieht das Cloud-Angebot von Opentext aus?

Illing: Wir werden mit allen Themen und Lösungen in die Cloud gehen. Alles, was Private Cloud betrifft, können wir schon. Was die Public Coud betrifft, wird es auch auf der Enterprise World neue Ankündigungen geben.

Welche besonderen Anforderungen gibt es bei Cloud-Lösungen?

Illing: Spannend wird es bei Cloud-zu-Cloud-Verbindungen, wenn sowohl das ECM-System als auch die zu integrierenden Systeme wie Salesforce oder SAP in der Cloud laufen. Hier können wir im November erste Projekte nennen.

Was sind die nächsten großen Themen für die ECM-Branche? Welche Trends sehen Sie?

Illing: Digitalisierung ist das A und O, und Industrie 4.0 ist ein großer Treiber. In den Unternehmen besteht ein Riesendruck, sei es, um den Auftritt nach außen oder die internen Prozesse stärker zu digitalisieren. Es herrscht eine große Angst vor disruptiven Geschäftsmodellen, die das bewährte Geschäft zerstören könnten.

Auf Knopfdruck Daten liefern zu können, macht großen Unterschied

Was kann Opentext für diese Unternehmen tun?

Illing: Opentext hilft Unternehmen bei der Realisierung und bietet beispielsweise Workshops, in denen das Digitalisierungspotenzial in gewissen Geschäftsbereichen untersucht wird. Schließlich ist Opentext in der Lage, die häufig bereits vorhandenen, aber nicht für solche Zwecke genutzten digitalen Daten mit Kommunikationsdaten oder anderen Prozessen zu  verbinden. Wenn heute zum Beispiel ein Hersteller von Komponenten als Zulieferer in die Supply-Chain eines Flugzeugs integriert wird, ist das ein Riesenaufwand. Diesen Prozess gilt es, technologisch zu unterstützen. Vieles wird häufig noch händisch abgearbeitet, aber man kann jeden Arbeitsschritt auch viel profitabler elektronisch unterstützen.

Digitalisierung findet doch schon seit längerem statt.

Illing: Um digitale Prozesse einzuführen, gingen Unternehmen bislang häufig den Weg, dass die IT-Abteilung schnell eine neue App entwickelte, was aber auch wieder etwas Isoliertes darstellt. Wenn ich mit meinem Unternehmen agil werden möchte, muss ich End-to-End-Prozesse automatisiert und digitalisiert haben. Hierbei sind auch unstrukturierte Daten wie Fotos und Videos zu berücksichtigen. Manche Versicherungen kämpfen beispielsweise damit, dass Kunden Fotos und Videos von Versicherungsschäden gleich mitschicken, aber die elektronische Akte noch gar nicht in der Lage ist, diese abzulegen.

Was passiert, wenn Unternehmen in der Digitalisierung zu langsam sind?

Illing: In den USA und auch immer mehr in Deutschland, beispielsweise in der Nahrungsmittelindustrie, müssen Unternehmen in gerichtlichen Auseinandersetzungen über den ganzen Produktionsprozess inklusive der Zuliefererkette hinweg dokumentieren können, dass dieser den Regularien entsprochen hat. Bis dies geklärt ist, dürfen Hersteller nicht produzieren. Jetzt macht es einen großen Unterschied, ob man auf Knopfdruck alles liefern kann, oder ob man sagt, ich gehe mal schnell in den Keller und suche alles raus.

Im Bereich Analytics und Search werden Opentext viele Stärken zugesprochen. Können Sie Beispiele nennen, auf welche Weise Ihre Kunden in der Praxis davon profitieren?

Illing: Über unsere Technologien wie »Infofusion« kann ich Repositories von Filenet und Documentum anbinden, direkt ansprechen und durchgängig darin suchen. Auch dadurch, dass wir Anfang des Jahres Actuate gekauft haben, wird Analytics immer stärker in die einzelnen Produkte mit einfließen.

Stichwort Zukäufe: Opentext hat in den letzten Jahren einige Firmen zugekauft, um das Portfolio zu erweitern. In letzter Zeit hat man allerdings nicht mehr so viel über Zukäufe gehört. Woran liegt das?

Illing: Zukauf ist eine kontinuierliche Strategie und die wird sich nicht verändern – nicht zuletzt deshalb, weil wir einfach die Mittel dazu haben. Unser CEO Mark Barrenechea wurde bei der letzten Analystenkonferenz gefragt, ob es überhaupt noch potenzielle Unternehmen für Opentext gibt. Die Antwort lautet: ja, ohne Ende.

GXS war für 1,065 Milliarden Dollar die teuerste Akquisition von Opentext, die Anfang 2014 abgeschlossen wurde. GXS unterhielt in den USA eine große digitale Handelsplattform. Was hat die Akquisition bisher für Opentext gebracht und was bringt sie speziell für Ihre deutsche Kunden?

Illing: Auch in Europa war GXS sehr stark vertreten. Die GXS-Plattform und -Technologie setzt sich in der Plattform »OpenText Trading Grid« fort. Bei ihrer Nutzung profitieren Kunden beispielsweise, wenn sie komplette Dokumentationen darüber abwickeln. Ebenfalls von Vorteil ist, wenn Vendor Invoice Management und Exception Handling darüber laufen. In der Praxis kommt es beispielsweise bei Warenlieferungen häufig vor, dass die gelieferte Ladung nicht mit den Daten der beiliegenden Stückliste und der Rechnung übereinstimmt. Opentext Trading Grid kann diese Fälle und unter anderem auch verschiedene länderspezifische Steuersätze elektronisch berücksichtigen. Opentext ist zudem in der Lage, Opentext Trading Grid gut mit Business-Process-Management- Software der Kunden zu koppeln und Prozesse interaktiv zu gestalten. Insgesamt gibt es rund um Opentext Trading Grid eine riesige Bandbreite an Geschäftsmodellen.

Vielen Dank für das Gespräch!

About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.