Interview mit E-Rechnungs-Experte Christian Brestrich

Dem Geschäftsführer von B&L Management Consulting Christian Brestrich fällt bei seiner Beratungstätigkeit auf, dass bezogen auf die E-Rechnungspflicht enorm viele Falschinformationen im Umlauf sind. Dies schürt gerade bei KMUs unnötige Angst und führt zu blindem Aktionismus mit negativen Folgen. Zudem sorgen Wissenslücken bei Verantwortlichen für halbfertige Lösungen, die oft nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Jene Gesetzesvorgaben könnten aber auch noch ausgebaut werden.

Die Community und Miro liefern zahlreiche Vorlagen für verschiedene Anwendungen (Bild: Miro)

Christian Brestrich, Geschäftsführer von B&L Management Consulting, leitet viele E-Rechnungsprojekte (Bild: B&L Management Consulting)

Christian Brestrich, Geschäftsführer von B&L Management Consulting, leitet viele E-Rechnungsprojekte (Bild: B&L Management Consulting)

Welche gesetzlichen Anforderungen stehen mittel- und langfristig hinsichtlich E-Rechnungen in Deutschland noch bevor?

Brestrich: Nachdem die E-Rechnungsverpflichtung in Deutschland nun langsam anläuft, wird als nächstes das Thema »elektronisches Meldesystem« auf die Unternehmen zukommen. Basis dafür bildet die, nach langen Verhandlungen nun im März endlich beschlossene, ViDA-Initiative der EU (VAT in the Digital Age). Diese bildet ein Maßnahmenpaket zur Modernisierung des Mehrwertsteuersystems innerhalb der EU und sieht vor, dass neben dem verpflichtenden Austausch elektronischer Belege, auch steuerlich relevante Daten elektronisch an die Finanzverwaltung übermittelt werden müssen. Die Fristen dafür betragen wenige Tage, so dass diese Meldung nur automatisiert über die entsprechenden Buchhaltungs- und Fakturierungssysteme erfolgen kann. Weitere, insbesondere auch technische Details dazu, müssen in den nächsten Monaten erarbeitet werden.

Wie gut funktioniert der seit Ende 2020 geltende E-Rechnungsaustausch im B2G-Bereich, der in den Bundesländern teilweise unterschiedlich geregelt ist?

Brestrich: Das hängt sehr stark davon ab, welche Ebene man betrachtet. In Bundesbehörden und zum Beispiel auf Landesebene gibt es mittlerweile eine sehr weite Verbreitung. Geht man aber in den Bereich der Städte und Kommunen oder auch teilweise der Sektorenauftraggeber, finden sich dort teils noch enorme Lücken. Gerade für Unternehmen in öffentlicher Hand ist oft nicht klar, ob die gesetzlichen Regelungen für sie überhaupt gelten. Mit Blick auf die seit mehr als vier Jahren abgelaufene Umsetzungsfrist, ist dies natürlich sehr unbefriedigend. Auch die, dem Föderalismus geschuldete, unterschiedliche gesetzliche Umsetzung in den Ländern, erleichtert die Vereinheitlichung des elektronischen Rechnungsaustausches nicht wirklich.

Seit 1. Januar gilt in Deutschland die E-Rechnungspflicht für Unternehmen. Welches Fazit ziehen Sie bislang?

Brestrich: Grundsätzlich fällt mir auf, dass enorm viele Falschinformationen im Umlauf sind. Massenhaft wird von den unterschiedlichsten Stellen damit geworben, dass man seit Januar E-Rechnungen austauschen muss. Damit wird die Angst – gerade bei KMU – massiv geschürt. Das wiederum führt dazu, dass bei unseren Kunden viele »E-Rechnungen« ankommen, die den Namen nicht verdient haben. Teilweise wurden die XML-Dateien aus PDF-Programmen exportiert, dann fehlen zahlreiche Pflichtfelder, wieder andere werden in veralteten Formaten wie ZUGFeRD 1.0 gesendet. Anstatt die seit 01.01.2025 geforderte Empfangsbereitschaft für eingehende E-Rechnungen herzustellen und sich dann in aller Ruhe mit dem Thema elektronische Ausgangsrechnungen zu beschäftigen, führt der blinde Aktionismus vieler Unternehmen zu einer deutlich erhöhten Fehlerquote.

Welche Probleme machen sich durch die E-Rechnungspflicht bemerkbar?

Brestrich: Größtes Problem sind aus meiner Sicht nach wie vor die rechtlichen und technischen Wissenslücken in den Unternehmen. Oft gibt es Finanzabteilungen, die die generellen Vorgaben kennen, diese aber verständlicherweise nicht an die technischen Abteilungen zur Umsetzung weitergeben können. Dadurch entstehen halbfertige Lösungen, die oft nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Hier sehe ich allerdings auch die Anbieter von Buchhaltungs- und Fakturierungssystemen stärker in der Pflicht. Wenn den Unternehmen nicht die Chance gegeben wird, alle für eine E-Rechnung gesetzlich und technisch notwendigen Felder in der Software anzugeben, dann kann natürlich auch keine saubere Rechnung versendet werden. Auf der Empfangsseite wiederum fehlen teilweise die Möglichkeiten, eine eingehende E-Rechnung zu verifizieren, zu validieren und vollständig zu visualisieren. Auch hier muss noch viel nachgebessert werden.

„Anstatt die seit 01.01.2025 geforderte Empfangsbereitschaft für eingehende E-Rechnungen herzustellen und sich dann in aller Ruhe mit dem Thema elektronische Ausgangsrechnungen zu beschäftigen, führt der blinde Aktionismus vieler Unternehmen zu einer deutlich erhöhten Fehlerquote.“

Sind Nachbesserungen auf gesetzlicher oder technologischer Seite notwendig?

Brestrich: Neben den schon genannten Herausforderungen für die Lösungsanbieter, sind wir in der bisherigen Arbeit auch auf die ein oder andere Verwirrung bei den gesetzlichen Vorgaben gestoßen. So weichen teilweise steuerliche Pflichtfelder von denen der E-Rechnungs-Schemata ab. Das sollte so eigentlich nicht passieren. Auch der Übertragungsweg per E-Mail bildet eine große Fehlerquelle. Über diesen Weg kann alles versendet werden, was wieder den Aufwand für die Bearbeitung von Fehlerfällen erhöht. Wäre ein einheitlicher und technischerer Übertragungsweg vorgeschrieben, wären viele der derzeit auftretenden Fehler schlichtweg nicht möglich, da der Rechnungssteller den unvollständigen Beleg gar nicht erst versenden könnte. Mit unserer Mitarbeit im Verband elektronische Rechnung e.V. erhoffen wir uns, diese Themen aus der täglichen Praxis bei der Finanzverwaltung platzieren zu können und so zukünftige Vorgaben aktiv mitgestalten zu können.

Welche Vorteile haben sich bislang ergeben?

Brestrich: Auch wenn die bisherigen Ausführungen eher negativ erscheinen: elektronische Belege, die alle Vorgaben erfüllen und die elektronisch verarbeitet werden können, bieten insbesondere dem Rechnungsempfänger einige Vorteile. Vorbei sind die Zeiten, in denen mit OCR-Lösungen PDF-Belege durchsucht oder sogar Papier mehr oder weniger erfolgreich ausgelesen werden musste. Der elektronische Eingang ermöglicht den direkten Import der Rechnungsdaten in Buchhaltungsprogramme oder ERP-Systeme. Im Falle eines elektronischen Bestellwesens sind umfangreiche Prüfungen und Automatisierungen möglich, bis hin zur automatischen Verbuchung und Zahlung der Rechnungen. Je nach Lösung ist ein weiterer Faktor die Möglichkeit der automatischen Abweisungen fehlerhafter Belege. So erhalten Lieferanten nach fehlgeschlagenen Prüfungen die Rechnung mit einer dedizierten Fehlermeldung zurück, im System des Rechnungsempfängers landen nur erfolgreich validierte Belege.

Wie sind die Fortschritte in Sachen E-Rechnung in anderen – vor allem europäischen Ländern – und welche Auswirkungen haben diese auf deutsche Unternehmen?

Brestrich: Über kurz oder lang müssen alle EU-Mitgliedsstaaten die ViDA-Vorgaben erfüllen. Viele unserer europäischen Nachbarn bereiten daher ebenfalls die Einführung der Verpflichtung zum elektronischen Rechnungsaustausch vor. Dabei zeigen sich aber auch immer wieder Probleme, sei es in der Bereitstellung der technischen Infrastruktur oder auch in der Definition eines landesspezifischen E-Rechnungsformats. Außerdem gibt es verschiedene Ansätze zur tatsächlichen Realisierung des Austauschs der Belege. Manche Länder setzen auf eine zentrale staatliche Lösung, die alle Rechnungen verarbeitet. Andere Länder wiederum schreiben die Nutzung zertifizierter Dienstleister vor, so dass ein direkter Austausch zwischen Unternehmen nicht möglich ist. Aus deutscher Sicht sollte man die Entwicklungen gut beobachten, um dann in den nächsten Jahren ein passendes Modell für ein deutsches Meldesystem zu etablieren. Für Unternehmen, die über unsere Landesgrenzen hinweg aktiv sind, heißt das leider derzeit aber auch, dass man sich mit den jeweils pro Land geltenden Vorgaben zu Cross-Border-Geschäften beschäftigen muss. Eine Vereinheitlichung des Rechnungsaustausches, wie ursprünglich von der EU angedacht, findet derzeit nicht wirklich statt.

Verschiedene Anbieter bieten bereits E-Rechnungs-Plattformen für den einfacheren Austausch von E-Rechnungen an oder sind dabei diese aufzubauen. Wie hilfreich sind diese, können Sie bestimmte empfehlen und was ist bei ihrer Nutzung zu beachten?

Brestrich: Leider hat der Gesetzgeber aus meiner Sicht die Chance verschlafen, hier eine standardisierte Lösung für alle Unternehmen und Behörden zu schaffen. Wenn man als Unternehmen den E-Mail-Weg vermeiden oder minimieren möchte, bleibt daher nur die Nutzung einer am Markt verfügbaren Plattform. Man sollte hier besonders darauf achten, dass diese Plattformen alle technischen und rechtlichen Prüfungen abbilden können (zum Beispiel die Prüfung der XML gegen das passende Schema) und verschiedene Eingangswege bieten. Dazu gehören beispielsweise direkte Schnittstellen aus ERP- und Buchhaltungssystemen, der Eingang per E-Mail, eine manuelle Eingabemöglichkeit für Kleinstlieferanten oder auch der Zugang über PEPPOL. Auch die Format- und Versionsvielfalt am Markt muss durch die Plattform verarbeitet werden können (zum Beispiel verschiedene ZUGFeRD-Profile). Komfortfunktionen wie die bereits erwähnte automatische Ablehnung fehlerhafter Belege runden für mich eine sehr gute Lösung ab.

„Leider hat der Gesetzgeber aus meiner Sicht die Chance verschlafen, hier eine standardisierte Lösung für alle Unternehmen und Behörden zu schaffen.“

Was sind die Hauptprobleme bei der Umsetzung einer E-Rechnungslösung und wie lassen sich diese vermeiden?

Brestrich: Generell darf man die Einführung der E-Rechnung nicht nur als reine technische Umsetzung eines oder mehrerer neuer Formate sehen. Vielmehr muss man den gesamten Prozess der Rechnungsbearbeitung anschauen, optimieren und dann erst in einer E-Rechnungslösung abbilden. Diese Betrachtung kann, wenn vorhanden, bereits beim Bestellwesen beginnen. Je besser der Prozess zu Beginn aufgebaut ist, umso  schlanker und effizienter kann am Ende der Rechnungsprüfungsprozess ablaufen.

Und was ist technisch zu beachten?

Brestrich: Technisch gesehen, sollte man zuerst die vorhandene Infrastruktur betrachten. Eventuell bieten bereits im Unternehmen vorhandene Lösungen die Möglichkeit, E-Rechnungen zu bearbeiten, was eine Neuanschaffung unnötig macht. Im Falle des Aufbaus einer neuen Lösung, müssen die eigenen Anforderungen klar sein. Ich empfehle daher zuerst, die eigenen fachlichen und technischen Anforderungen zu skizzieren und dann damit den Markt zu betrachten. Im nächsten Schritt folgt dann die strategische Entscheidung, welchen technischen Weg man gehen möchte: Portal-Lösung, externer Dienstleister, Erweiterung der Buchhaltungssoftware, Anschaffung einer neuen, eigenen Softwarelösung. Der Markt ist breit und vielfältig – entscheidend ist daher, die richtige Lösung für das eigene Unternehmen zu finden.

Wo sehen Sie die größten Chancen bei der Umsetzung einer E-Rechnungslösung? Wie können Unternehmen diese am besten nutzen? Welche Fehler sollten sie vermeiden?

Brestrich: Wie bereits erwähnt, bieten sich auf der Seite des Rechnungsempfängers zahlreiche Optimierungs- und Automatisierungspotenziale. Durchlauf- und Bearbeitungszeiten können erheblich verkürzt werden, aber auch interne Prozesse wie Erinnerungs- und Eskalationsprozesse können unterstützt werden. Fachabteilungen, die Rechnungen bearbeiten, erhalten in der täglichen Arbeit Unterstützung durch das System wie Kontierungsvorschläge oder automatische Übernahme verschiedener Daten zum Kreditor oder zur Bestellung. Als Unternehmen bietet es sich also an, auf elektronische Rechnungen und damit verbundene elektronische Prozesse umzustellen. Ein Punkt, der dabei allerdings nicht vergessen werden sollte, ist die vorherige Betrachtung der eigenen Lieferantenstruktur. Eine automatisierte Lösung ist nur so gut, wie der Input, den sie erhält. In der Praxis stellt sich das gerade als größte Herausforderung heraus. Wie schon vorher beschrieben, ist die Fehlerquote bei der Erstellung und dem Versand der E-Rechnungen noch relativ hoch. Alles in allem lohnt sich aber die Digitalisierung und Optimierung des Rechnungsprozesses, um mit dem Unternehmen für zukünftige Herausforderungen gerüstet zu sein.

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About the Author: Annette Stadler

Annette Stadler ist IT-Journalistin und leitet das Online-Portal ECMGUIDE.