Digital-Gipfel 2023: Deutschland entdeckt KI
Den Digital-Gipfel der Bundesregierung am 20. und 21. November in Jena ließen sich Führungspersönlichkeiten aus der Politik auch dieses Jahr nicht entgehen, um sich und ihr Ministerium beim positiv besetzen Thema »Digitalisierung« glänzen zu lassen. Ungewohnt einig waren sich alle beim Thema Künstliche Intelligenz.
KI rückt beim Digital-Gipfel 2023 in den Mittelpunkt
Inhalt dieses Artikels
2006 bemerkte die damalige Bundesregierung, dass sich diese Sache mit Computern und dem Internet nicht mehr länger ignorieren lässt. Als Reaktion darauf fand im Dezember im Hasso-Plattner-Institut in Potsdam der erste Digital-Gipfel statt. Damals hieß er noch »Nationaler IT-Gipfel«, thematisch blieb sich die Veranstaltung aber die folgenden Jahre treu: Es wurden Erklärungen verabschiedet und Forderungen erhoben, die alle darauf abzielten, die Rolle der ITK-Branche in Deutschland zu stärken und die Verwaltung digitaler zu machen.
Man höre und staune: Bereits 2006 verpflichtete sich die damalige Bundesregierung zur Umsetzung von Onlinedienstleistungen durch die Verwaltung – einer Aufgabe, die durch das 2017 erlassene Onlinezugangsgesetz dann innerhalb von fünf Jahren weitgehend erledigt werden sollte – aber nicht einmal ansatzweise erledigt wurde.
KI seit 2018 Thema auf dem Digital-Gipfel
Nicht viel besser sieht es beim Thema Künstliche Intelligenz aus. Die stand auf dem Digital-Gipfel 2018 schon einmal im Rampenlicht. Damals erklärte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, die Querschnittstechnologie KI könne unser Leben massiv verbessern. »Mit ‚KI made in Germany‘ achten wir darauf, dass nicht die Maschinen, sondern die Menschen die Richtung vorgeben und schaffen neue Arbeitsplätze und Wohlstand.«
Altmaiers Plan: »Deshalb wollen wir Deutschland zu einem führenden Standort bei KI machen und stellen auch mit unserer KI-Strategie bis 2025 rund 3 Milliarden Euro zur Verfügung, um die Entwicklung anzuschieben.« Seiner Ansicht nach waren damals durch KI allein im produzierenden Gewerbe rund 32 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung in den nächsten fünf Jahren möglich.
Deutschland darf KI nicht verschlafen
Fünf Jahre später, 2023, dominieren beim Thema KI die Nachrichten zur Führungsfrage bei OpenAI, dem Einfluss von Microsoft auf das Unternehmen hinter »ChatGPT«, sowie die Strategien der großen US-Wettbewerber Google und Meta. Fast schon als Strohhalm (wenn auch als recht dicker) erscheint da die jüngste Finanzierungsrunde des Heidelberger KI-Startups Aleph Alpha, an der sich unter anderem Robert Bosch, die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland) sowie SAP beteiligt haben. Die Hoffnungen, die auf dem Unternehmen ruhen sind groß, die Ressourcen und die finanziellen Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, im Vergleich zum internationalen Mitbewerber eher überschaubar.
Politiker und Funktionäre sind unverzagt (oder unbelehrbar?). Auch Bitkom–Präsident Ralf Wintergerst gab auf dem diesjährigen Digital-Gipfel in Jena einen Fünf-Jahres-Plan aus. Er erklärte: »In fünf Jahren sind wir bekannt als das Land der Dichter, Denker und Digitalisierer – aber in umgedrehter Reihenfolge und weiblicher.«
Bei KI sind sich Wissing und Habeck einig
Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, korrigierte Altmairs bedenkenträgerische Aussage, dass »nicht die Maschinen, sondern die Menschen die Richtung vorgeben« müssten, und präsentierte sich als Anpacker: »Wichtig ist, jetzt nicht abschließend zu regulieren. Wir können jederzeit nachjustieren.« Mit »wir« ist in dem Fall die EU gemeint. Die dürfe nicht das Signal senden, dass Europa der am schärfsten regulierte Markt werden will. »Dann wandern Technologien ab und wir müssen sie womöglich aus Ländern importieren, die völlig andere Werte haben als wir«, mahnte Wissing.
Da war er sich mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausnahmsweise einmal einig. Der sagte in einem Podcast des Bitkom, »das Wichtigste ist jetzt, eine vernünftige KI-Verordnung auf der europäischen Ebene hinzubekommen. « Ein Anfang dazu ist gemacht: Deutschland, Frankreich und Italien, die drei größten Volkswirtschaften der EU, haben sich rechtzeitig zum Digital-Gipfel auf eine gemeinsame Position zur KI-Regulierung geeinigt. Sie wollen zwar mögliche Sicherheitsrisiken und Diskriminierung durch KI-Anwendungen abwehren, dabei aber nicht schon bei der Basis-Technologie ansetzen, sondern nur im konkreten Anwendungsfall regulieren.
Bei einer Überregulierung von KI drohe laut Habeck, dass die EU künftig vielleicht die besten Verkehrsvorschriften, aber keinen Verkehr auf der Straße habe. Das dürfe nicht passieren. Neben einer angemessenen KI-Regulierung mache sich die Bundesregierung dafür stark, Investitionen der Privatwirtschaft in Digitaltechniken zu ermöglichen.
Zusätzlich forderte Wissing, dass alle erkennen, »dass Datenverfügbarkeit einen gesellschaftlichen Wert hat. Wer offen ist, Daten zu generieren, unterstützt die Digitalisierung in Deutschland.« Ins Stammbuch schreiben sollte er das vor allem den Behörden und Kommunen. Allerdings hat Wissing da gut reden, denn für den Bereich Open Data ist nicht er mit seinem Ministerium zuständig, sondern das Bundesinnenministerium unter Leitung von Nancy Faeser.
DSAG vorab mit Lob und mahnenden Worten
Vertreter und Vertreterinnen der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG) hatte bereits im Vorfeld der Veranstaltung Einschätzungen zu den aus ihrer Sicht wichtigsten Themen auf der Tagesordnung abgegeben – auch zur Künstlichen Intelligenz. Sebastian Westphal, DSAG-Fachvorstand Technologie, sieht das größte KI-Potenzial für Deutschland und Europa derzeit in der Anwendung in Industrie, Medizin und öffentlicher Verwaltung – um große Sprachmodelle mit Prozessdaten, branchenspezifischen Industriedaten oder biomedizinischen Daten zu kombinieren. »Aus DSAG-Sicht ist die entscheidende Frage: Wer besitzt die Technologie, die Daten und die Ressourcen, um große Modelle zu erstellen und die Entwicklung sowie revolutionären Durchbrüche zu steuern? Bleibt das in der Hand der Großkonzerne in den USA und China, und werden diese die Nutzung, Regulierung und auch die einhergehenden ethischen Fragestellungen bestimmen, so wie bereits bei Suchmaschinen und in sozialen Netzwerken«, fragt Westphal.
Seiner Ansicht nach sollten Europa und Deutschland »schnellstmöglich in die Lage kommen, die Technologie nach eigenem Ermessen zu entwickeln und zu nutzen. Gleichzeitig sollten sie wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen positiv beeinflussen – sowie erforderliche Standards zu Datenschutz und Datensicherheit schaffen und KI-Modelle ethisch nutzen.«
»Aus DSAG-Sicht sind die Möglichkeiten von KI in der Öffentlichen Verwaltung besonders groß – zum Beispiel zur Prozess-Automatisierung, zum Sichten großer Mengen von Material und zum Formulieren einfacher Texte«, ergänzt Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand Personalwesen & Public Sector. »Gleichermaßen könnten digitale Chatbots Behördengänge leichter machen. Und KI könnte ein Mittel sein, dem Fachkräftemangel im Öffentlichen Dienst entgegenzutreten. Zudem ist die Entwicklung rund um KI im Public Sector gut geeignet, um mit dem Mythos aufzuräumen, die Öffentliche Verwaltung könne keine Cloud nutzen.«
»Die Bedeutung der Digitalisierung insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Resilienz und Zukunftsorientierung kann nicht genug betont werden«, sagt auch Christine Grimm, DSAG-Fachvorständin Transformation & Sustainability. Sie gibt aber zusätzlich zu bedenken: »Dabei geht es nicht nur um die Implementierung neuer Technologien, sondern vor allem darum, wie diese Technologien nachhaltige Veränderungen ermöglichen.« Denn KI und fortschrittliche Algorithmen können laut Grimm »dazu beitragen, unsere Ressourcen effizienter zu nutzen, unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren und innovative Lösungen für aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu entwickeln. Gleichwohl müssen wir den CO2-Fußabdruck und den Ressourcenverbrauch der rechenintensiven Technologien kritisch verfolgen.«
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