Leitfaden für Dokumentenmanagement-Projekte im Mittelstand

Welche Überlegungen und Schritte sind notwendig, um ein Dokumentenmanagement-System (DMS) in einem mittelständischen Unternehmen einzuführen? Hilfreiche Tipps und Anleitungen gibt DMS-Experte Christoph Tylla, Partner des IT-Beratungshauses Pentadoc, der bereits zahlreiche Mittelstandsprojekte begleitet hat.

Drei zentrale Phasen bei einer DMS-Einführung (Bild: Pentadoc)

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Drei zentrale Phasen bei einer DMS-Einführung (Bild: Pentadoc)

DMS-Projekte beinhalten viele organisatorische Themen

Um direkt zu Beginn einer häufigen Fehleinschätzung zu begegnen: Eine DMS-Einführung ist kein alleiniges IT-Projekt. Die Systemeinführung sollte die alltäglichen Arbeitsweisen deutlich positiv verändern. Das Projekt nimmt somit neben den rein technischen Veränderungen auch Einfluss auf Prozesse, die Organisation bis hin zur Kultur im Unternehmen.

Die konkrete Projektumsetzung sollte im Vorfeld im Detail und individuell für das Unternehmen geplant werden. Zu den Fragestellungen, die bei der Ausgestaltung unter anderem eine Rolle spielen, zählen:

  • Ist die DMS-Einführung unternehmensweit geplant oder welche Fachbereiche sind zu berücksichtigen?
  • Gibt es bereits identifizierte Umsetzungsthemen (beispielsweise Vertragsmanagement) oder steht die DMS-Einführung noch unspezifiziert in Planung?
  • Können die involvierten Fachbereiche bereits den Sinn und Zweck eines DMS nachvollziehen oder muss hierzu eine Aufklärung geschaffen werden?

Die Beantwortung derart grundlegender Fragestellungen kann Aufschluss darüber geben, wie das Projekt strukturiert werden sollte. Es lässt sich somit nicht pauschal für jede Organisation als Blaupause beschreiben. Jedoch lassen sich aus unserer Erfahrung drei Phasen auf dem Weg zur Umsetzung als Orientierung ableiten.

Phase 1 – Die Anforderungserhebung

Die Anforderungserhebung bildet das Fundament der gesamten DMS-Einführung. An ihr orientieren sich die spätere Konzeption und auch Produktauswahl. Es ist zu Beginn zu klären, inwieweit die Nutzungsszenarien des DMS schon definiert sind und welche Fachbereiche für die Anforderungsanalyse daraus resultierend involviert sind. Zudem ist zu bewerten, ob mit der DMS-Einführung auch Veränderungen von Geschäftsprozessabläufen angestrebt werden. Art und Umfang dieser ersten Phase kann und sollte individuell geplant werden. Jedoch können folgende Elemente der Anforderungserhebung als Basis angesehen werden:

Fachliche Anforderungserhebung

Diese Phase lässt sich gut in Form von themenorientierten Workshops planen, an denen Vertreter der involvierten Fachbereiche teilnehmen. Inhaltlich geht es um die Erhebung der fachlichen Anforderungen, die an ein System gestellt werden. Ziel ist, die Arbeitsabläufe in den Fachbereichen zukünftig optimal durch das neue System zu unterstützen.

Typisches Beispiel einer fachlichen Anforderungserhebung

Ablösung Netzlaufwerke: Viele Unternehmen ohne DMS organisieren die digitale Dokumentenablage über klassische Netzlaufwerksstrukturen. Dabei bietet die Einführung eines DMS durchaus die Option, bestehende Netzlaufwerksstrukturen perspektivisch in ein DMS zu überführen und den Mitarbeitenden hierdurch eine Vielzahl an Zusatzfunktionen zu bieten.

Hintergrund: Strukturen der Netzlaufwerke sind über Jahre gewachsen, was – insbesondere bei abteilungsübergreifender Zusammenarbeit – die Nachvollziehbarkeit und das Auffinden von Dokumenten erschwert. Zudem scheitert der unternehmensweite Dokumentenaustausch häufig am Dschungel der Zugriffsberechtigungen. Zahlreiche Anfragen an die IT-Abteilung zur Berechtigungssteuerung zählen zum Tagesgeschäft.

Potenzial: Ein DMS steht den Ablagefunktionen eines Netzlaufwerks in nichts nach und bietet darüber hinaus sogar eine Vielzahl an Zusatzfunktionen. So lassen sich mit modernen Systemen beispielsweise Zugriffsberechtigungen auf Fachbereichsebene steuern, ohne die IT einbinden zu müssen. Die fachbereichsindividuelle Flexibilität im Dokumentenmanagement steigt. Auch die verfügbare Volltext-Recherche über alle Dokumente im DMS liefert ad hoc deutliche Mehrwerte.

Tipp: Verstehen Sie die DMS-Einführung als Chance, heute bestehende Beschwerden im Umgang mit Dokumenten für die Mitarbeitenden zu beseitigen. Die Möglichkeiten des DMS bieten deutliche Mehrwerte zu bisherigen Systemen.

Technische Anforderungserhebung

Neben der fachlichen Anforderungserhebung wird auch aus der Perspektive der bestehenden und künftigen IT-Infrastruktur analysiert, welche Voraussetzungen ein zukünftiges System erfüllen muss. Typischerweise bilden IT-Mitarbeitende den Teilnehmerkreis dieser Workshops. Aus Erfahrung sollte die technische Anforderungserhebung erst nach den fachlichen Workshops stattfinden, da sich im Rahmen dessen häufig auch technische Fragestellungen ergeben, die sich während technischer Workshops klären lassen.

Typisches Beispiel einer technischen Anforderungserhebung

Betriebsmodell (On-Premises versus Cloud): Viele mittelständische Unternehmen stehen vor der grundlegenden Entscheidung, ob die DMS-Lösung selbst betrieben oder als Cloud-Dienst genutzt werden soll.

Hintergrund: Die führenden Hersteller des Marktes bieten in ihren Portfolios beide Betriebsmodelle an und haben es größtenteils auch erreicht, dass die Produkte beider Welten nahezu identische Funktionen aufweisen. Dabei erreicht die Branche einen gewissen »Cloud First Wendepunkt«, bei dem primär die Weiterentwicklung der Cloud-Lösungen in den Fokus rückt und die On-Premises-Lösungen nur »noch« zwangsläufig aufgrund der hohen Anzahl an On-Premises-Bestandskunden weiterentwickelt werden. Häufig bestehende Vorbehalte zu Aspekten der Sicherheit oder Performance sind kaum noch begründet und lassen sich mit konzeptionellen Maßnahmen gut lösen.

Potenzial: Bei der objektiven Bewertung von Potenzialen muss untersucht werden, was seitens des Anbieters unter dem Deckmantel Cloud wirklich geboten wird. Denn die Angebote am Markt reichen von »echten« Multi-Tenant-Cloud-Angeboten, also hoch standardisierten und sofort abrufbaren Lösungen, bis hin zu vermeintlichen Cloud-Angeboten, bei denen der Anbieter lediglich ein kundenindividuelles System in seinem Rechenzentrum betreibt und den Zugriff online zur Verfügung stellt. Beide genannten Modelle haben den grundsätzlichen Vorteil, dass sich Kunden nicht um den Betrieb und die Wartung der Lösung kümmern müssen. Bei Multi-Tenant-Angeboten kommen bereits zu Projektbeginn Vorteile einer deutlich schnelleren Bereitstellung des Systems hinzu und auch während der späteren Nutzung lassen sich viele Module und Services innerhalb von kurzen Zeiträumen hinzubuchen. Dementgegen steht eine geringere Individualisierbarkeit, wenngleich ein zu hohes Maß an Individualkonzeption ohnehin vermieden werden sollte.

Tipp: Prüfen Sie kritisch, welche Gründe tatsächlich gegen eine Cloud-Lösung sprechen. Die Entwicklung geht klar in diese Richtung und verspricht viele bislang nicht nutzbare Potenziale.

Prozessuale Anforderungserhebung

Diese Stufe wird relevant, wenn mit der DMS-Einführung auch die Veränderung von Geschäftsprozessabläufen angestrebt wird. In diesen Fällen müssen die aktuellen Geschäftsprozesse erhoben und auf dieser Basis die zukünftigen SOLL-Prozesse entwickelt werden.

Typisches Beispiel einer prozessualen Anforderungserhebung

Digitalisierung von internen Freigabe- und Umlaufverfahren: Viele mittelständische Unternehmen nutzen für interne Freigabeverfahren nach wie vor Papier oder häufig auch hybride Verfahren, bei denen bereits digital bestehende Dokumente zur Unterzeichnung ausgedruckt werden.

Hintergrund: Papierbasierte Verfahren bringen besonders in den Faktoren Zeit und Transparenz Nachteile mit sich. Häufig dauern papierbasierte Freigabeverfahren alleine aufgrund der internen Lauf- und Liegezeiten deutlich länger als vom Verfahren her eigentlich notwendig. Zudem ist schwer nachvollziehbar, in welchem Schritt sich der Freigabeprozess gerade befindet.

Potenzial: Über ein DMS können Freigabe- und Umlaufverfahren vollumfänglich digital abgebildet werden. Dokumente, die bislang per Papier durchs Unternehmen geleitet wurden, werden mit einem DMS elektronisch zum Empfänger oder einem Empfängerkreis weitergeleitet. Die Empfänger können das Dokument elektronisch einsehen und auch direkt im System freigeben. Dort wird systemseitig automatisch dokumentiert, welche Freigabeschritte von welchen Nutzenden zu welchem Zeitpunkt ausgeführt wurden. Da jeder Benutzende im System authentifiziert ist, reichen für viele einfache Freigabeverfahren derartige Systemdokumentationen, um ein sicheres Verfahren umzusetzen. Bei Bedarf können jedoch auch verschiedene Formen von elektronischen Signaturen eingebunden werden, um höheren Schutzanforderungen gerecht zu werden.

Tipp: Prüfen Sie in Ihrem Unternehmen, welche internen Freigabe- oder Umlaufverfahren heute noch in Papierform ablaufen. Legen Sie anfangs ein Augenmerk auf Verfahren, die bereits mit elektronischen Dokumenten beginnen und im weiteren Prozessverlauf ausgedruckt werden.

Phase 2 – Die Konzeption

In der Konzeption werden die in Phase 1 erhobenen Anforderungen aus fachlicher und technischer Perspektive in einem Einführungsplan strukturiert. In unserer Beratungspraxis nutzen wir unter anderem eine Zielpyramide, die das gesamte Vorhaben in sinnvolle und aufeinander aufbauende Einführungsstufen gliedert.

Projektbeispiel Zielbildpyramide (Bild: Pentadoc)

Projektbeispiel Zielbildpyramide (Bild: Pentadoc)

Darüber hinaus sollte individuell geprüft werden, welche Ergebnistypen für eine Entscheidungsfindung beziehungsweise die weiteren Schritte zielführend erscheinen. Erfahrungsgemäß empfiehlt sich in dieser Phase die Erstellung einer IT-Gap-Analyse, in der die bereits bestehenden Systeme mit ihren Funktionen in eine sinnvolle funktionale und technische Abgrenzung zum zukünftigen DMS gesetzt werden. Zur Konzeption gehören aber auch wichtige Planungselemente wie eine Kostenschätzungen sowie Ressourcenplanung für die Einführung.

Phase 3 – Die Produktauswahl

Exemplarisches Vorgehen beim Produktauswahlverfahren (Bild: Pentadoc)

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Exemplarisches Vorgehen beim Produktauswahlverfahren (Bild: Pentadoc)

Im Rahmen dieser Phase soll aus der Vielzahl der am Markt etablierten Systeme das am besten geeignete Produkt gefunden werden. Ziel ist es, strukturiert und objektiv zu ermitteln, welches Produkt für das Projektvorhaben am besten geeignet ist.

Typisches Thema bei der Produktauswahl

Vergleichbarkeit der angebotenen Lösungen: Viele Unternehmen stellen nach ersten Marktsondierungen fest, dass Angebote häufig nur schlecht vergleichbar sind und Angebotsinhalte teilweise nur eingeschränkt verstanden und bewertet werden können.

Hintergrund: Die modernen Dokumentenmanagement-Systeme verfügen über eine Vielzahl an Einzelfunktionen und Produktmodulen, was grundsätzlich gut für den Kunden ist. Wenn ein Unternehmen nun jedoch mit einer nicht ausreichend detaillierten Anforderungsbeschreibung an den DMS-Markt geht, überlässt es den Anbietern unnötigen Interpretationsspielraum, der mitunter zu unterschiedlichen Lösungsszenarien führen kann.

Potenzial: Gehen Sie mit konkreten Anforderungsbeschreibungen an den Markt. Dies kann beispielsweise in Form eines Lastenhefts sein, das als Dokument alle fachlichen und technischen Anforderungen an ein System und die geplanten Umsetzungsziele des Projektes beschreibt. Es bietet sich hierbei auch an, mit sogenannten Anwendungsfällen (Use Cases) zu arbeiten. In Form von  Anwendungsbeispielen wird konkret beschrieben, welche Arbeitsweisen beziehungsweise Arbeitsabläufe zukünftig wie mit dem System umgesetzt werden sollen. Der Anbieter wird aufgefordert, seine Lösungsansätze hierzu als Vorschlag zu beschreiben.

Wichtig ist zudem ein vom Unternehmen vorgegebenes und gut strukturiertes Preisblatt. Durch die Nutzung eines einheitlichen Preisblatts für alle Anbieter wird der kaufmännische Angebotsvergleich deutlich vereinfacht. Da die führenden Lösungen am Markt in den grundlegenden DMS-Funktionen mittlerweile nahezu vergleichbar ausgestattet sind, sollte bei der Produktauswahl auch Raum für das Bauchgefühl beziehungsweise die Wahrnehmungen aus Anwendersicht bestehen. Wie intuitiv bedienbar empfinden Anwendende die Benutzeroberflächen? Wie nachvollziehbar erscheint der Aufruf bestimmter Funktionen? Wie gut lässt sich das System in bestimmte Arbeitsabläufe integrieren? All diese Fragestellungen sollten in einer Produktpräsentation im direkten Austausch mit dem Anbieter geklärt werden. Auch hier gilt es durch das Unternehmen eine klare Agenda und Inhaltspunkte – idealerweise als Anwendungsfälle – vorzugeben, sodass die Bieterpräsentationen vergleichbar sind.

Tipp: Während technische Anforderungen recht strukturiert, beispielsweise in Form eines Kriterienkatalogs, aufgeführt werden können, sollten die fachlichen Anforderungen ausführlich, beispielsweise in Form von Anwendungsfällen (Use Cases) beschrieben werden.

Fazit

Verstehen Sie eine DMS-Einführung nicht als rein technisches Projekt. Die maßgeblichen Potenziale eines DMS liegen in der Verbesserung der Arbeitsabläufe und Geschäftsprozesse. Somit sollten die Prozesse und die Organisation ebenfalls im Fokus stehen.